DER DEUTSCHE HOLZSCHNITT VOR CRANACH W as ist ein Holzschnitt? Der Abdruck einer Zeichnung, die zuvor zum Zwecke der Ver vielfältigung erhaben in einen Holzstock geschnitten wurde. Wann und wo sind in Europa die ersten Holzschnitte entstanden und unter welchen Bedingungen ist dies geschehen? Für die Entstehungszeit gibt es keine genauere Bestimmung als „um 1400“. Über den Entstehungsort läßt sich nur soviel sagen, daß zwar Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Italien das gleiche Recht beanspruchen, die Holzschnittproduktion in Gang gesetzt zu haben, daß aber Deutschland eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Priorität für sich hat. Denn die meisten der frühen Blätter sind in deutschen Klosterbibliotheken gefunden worden, in Deutschland hat sich auch der Kupferstich zuerst geregt, und ebenfalls hier wurde durch die Erfindung der Buch druckerkunst die für die menschliche Kultur wichtigste Form der Vervielfältigung geschaffen. Das Verfahren, eine Zeichnung in einen Holzstock zu schneiden und sie dann abzudrucken, war seit dem frühen Mittelalter bekannt, wurde aber nur im sogenannten Zeugdruck geübt, d. h. ein Stück Zeug wurde, wie es auch heute noch üblich ist, um es zu schmücken, mit einem Muster bedruckt. Sehr selten und auch nur im späteren Mittelalter hat man zuweilen statt des Musters bildliche Darstellungen genommen. Es kam nun darauf an, das Verfahren über den Bereich der angewandten Kunst hinaus auf die Wiedergabe von Zeichnungen um ihrer selbst willen auszudehnen. Dazu war zunächst ein Material nötig, das einen reinen und klaren Abdruck gestattete und in größerer Menge wohlfeil verfüg bar war. Diese Voraussetzungen erfüllte das Papier, das in China schon zu Beginn des 2. nachchristlichen Jahrhunderts erfunden wurde, dessen Fabrikation in Europa im Mittel alter aber nur ganz allmählich aufkam. In Deutschland wurde, soweit wir wissen, erstmals im Jahre 1390 Papier hergestellt. Es mußte aber noch etwas dazukommen, das zu ermög lichen, was wir einen Holzschnitt nennen, der Wille nämlich, im eigenen Hause ein „Bild“ zu besitzen. Uns Heutigen erscheint dies als eine Selbstverständlichkeit, der mittelalterliche Mensch aber war gewöhnt, Bilder nur in der Kirche zu sehen. Es gab ja weder Landschaft noch Stilleben, weder Bildnis noch Genre, sondern mit wenigen Ausnahmen nur Bilder christlichen Inhalts, deren Auftraggeber die Kirche war. Erst mit dem Erstarken des Bürgertums im Verlaufe des 14. Jahrhunderts und dem Wachsen seiner kulturellen Ansprüche begann die Kunst allmählich auch Privatangelegenheit des einzelnen zu werden. Erst jetzt erwachte der Drang, ein Kunst werk im eigenen Hause zu haben, ein Kunstwerk freilich, das nicht in erster Linie ästhetischen Bedürfnissen diente, sondern Gegenstand der Andacht, Erbauung und seelischen Stärkung war. Hauptsächlich dieser Drang hat den Holzschnitt ins Leben gerufen. Sein Erscheinen bedeutete