DIE ERSTEN WITTENBERGER JAHRE Z u Anfang des Jahres 1505 folgte Cranach einem Ruf des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen an den Hof nach Wittenberg, der sich damals durch die Initiative Friedrichs zu einem Zentrum deutschen Geisteslebens zu entwickeln begann, von dem bald die stärksten Wir kungen auf Deutschland und weit über seine Grenzen ausstrahlen sollten. Seit dieser Berufung ge hörte das bisher für uns so dunkle Leben Cranachs, nunmehr wohlbestallten Hofmalers, in einer Weise der Öffentlichkeit an, wie das kaum eines anderen deutschen Künstlers der Zeit. Bis zu seinem Tode stand er im Dienst des sächsischen Kurfürsten, bekleidete öffentliche Ämter, so mehrmals das eines Bürgermeisters, hielt eine Werkstatt, die an Umfang ihresgleichen in Deutschland nicht hatte, und wurde der reichste Mann der Stadt, Besitzer eines Hauses von solcher Vornehmheit und Ausdehnung der Gesamtanlage, daß er einen König mit Gefolge darin aufzunehmen ver mochte. Seine Stellung als Hofmaler bedeutete keine Einschränkung seiner sonstigen Tätigkeit. Nach wie vor konnte er von jedermann Aufträge annehmen, und sein graphisches Schaffen ist durch die Übersiedlung nach Wittenberg überhaupt erst richtig in Schwung gekommen. Gleich aus dem Jahre 1505 besitzen wir ein datiertes Blatt, das außerdem mit jenem Monogramm der ineinander gestellten Buchstaben L und C versehen ist, wie es Cranach erstmals auf seinem Gemälde der „Ruhe auf der Flucht“ im Jahre zuvor angewendet hatte. Es ist eine Darstellung der Verehrung des Herzens Jesu. Zum Verständnis sei nur soviel gesagt, daß das Herz Jesu als Sinnbild seiner Liebe zur Menschheit seit dem 13. Jahrhundert besonders verehrt wurde, und daß diese Verehrung ihren bildlichen Niederschlag auch schon in Holzschnitten des späteren 15. Jahrhunderts gefunden hatte. Es wäre interessant auf die ikonographischen Voraussetzungen der Cranachschen Komposition einzugehen, die, wenn auch nicht ohne Vorgänger, so doch von höchster Originalität ist. Auf einem von vier fliegenden Engelkindern gehaltenen Wappenschild wölbt sich das Herz Jesu, in dem Christus erscheint, in straffer Schlankheit ans Kreuz geheftet mit symmetrisch flattern dem Lendenschurz, während ein in vielfältigen Verschlingungen raumhaltig geführtes, leeres Spruchband 9 ) als weiteres starkes Bewegungsmotiv wirkt. Das Ganze schwebt über einer gegen wärtig-wirklichen deutschen Landschaft. In ihrem Vordergrund knien von links her Sebastian und Maria, von rechts Rochus und Johannes der Evangelist. Alle blicken nach oben, nur Jo hannes ist in sein Buch vertieft. Im Mittelgrund ein Wasser, von einem Schwan belebt, während am diesseitigen Ufer, zum Teil verdeckt, zwei Hirsche schreiten, diese Lieblingstiere Cranachs, die hier zum ersten Male in seinem Werk erscheinen. Am jenseitigen Ufer erhebt sich hinter einer langen Mauer ein mannigfaltig zusammengesetzter, schloßähnlicher Gebäudekomplex, an *7 Tafel 5