rung zu suchen, als die für einen paßt und die man ver dauen und sich aneignen kann.« Es war die große Leistung für die Entwicklung seines Ichs, daß er aus den verschie densten »Gesinnungen das ihn Fördernde mit Leidenschaft aufnimmt, das ihn Hemmende mit Leidenschaft von sich stößt«. Erstaunlich und immer von neuem bewunderswert ist es, wie es Goethe vermochte, zur Wahrung und Steigerung seiner Produktivität alles von sich abzuwehren, was bei ihm nicht auf fruchtbaren Boden gefallen wäre. So war er auch Meister jenes Grundsatzes über das geistige Aufnehmen, dem ein anderer Ausdruck gegeben hat: »Lesen heißt her auslesen, aus den Büchern das Wissen herauslesen, das für unsere Zwecke von Wert ist, das wir verwerten können.« Goethes Meisterstück und ein guter Teil Lösung des Rät sels seiner beispiellosen produktiven Kraft, die ins höchste Alter hineinreichte und sich in diesem sogar noch stei gerte - ein kaum wiederkehrendes Phänomen in der Ge schichte der Menschheit! - bestand darin, daß er mit rück sichtsloser Energie und Entschiedenheit alles das in seinen Geist aufzunehmen ablehnte, was außerhalb seines Schaf fensgebietes lag, als wenn solches gar nicht existierte. Für ihn gab es einfach nur das, was in der Linie seiner je weiligen Arbeit lag. Vermag solche weise Beschränkung nicht jedem Menschen auf seinem Gebiet Meisterschaft zu verheißen, auch wenn das Gebiet noch so klein sein mag? Liegt hierin nicht auch eine Erklärung für das Phänomen, daß gerade reichbegabte Naturen so oft versagen, weil sie die Fülle ihrer Kräfte nicht in solche Beschränkung zu zwingen vermögen, sondern sie verzetteln und verstreuen? Nach Goethes Tode sprach Kanzler Müller von ihm, der ihn so gut gekannt hat, ein bemerkenswertes Wort: »Dem Gegenstand, der ihn beschäftigte, gehörte er jedesmal ganz an, identifizierte sich mit ihm nach allen Seiten und wußte, während er irgendeine wichtige Aufgabe sich gesetzt, alles 18