Am stolzesten und vielleicht auch am stärksten heraus fordernd ist die Art, in der der junge Goethe Einflüsse von außen und sogenannte gute Lehren abwehrte, als er sagte: Man mag Amphion sein und Feld und Wald bezwingen, nur keinen Goethe nicht kann man zur Klugheit bringen. Mit diesem Eigenwillen hängt auch Goethes betonte Antimoral zusammen, und es ist ein Ausdruck seiner gran diosen Souveränität, wenn er sprach: »Es wird einem nichts erlaubt, man muß es nur sich selber erlauben.« Gibt es einen trefflicheren Ausdruck für jede Meisterschaft dem Leben gegenüber, für das Gefühl, ganz auf sich selbst ge stellt und Herr seines Schicksals zu sein? Gerade in der Gegenwart vermag Goethe ein Führer bei jenen Fragen zu sein, die zu den wichtigsten unseres in dividuellen Daseins gehören, zum Wohle der Gemeinschaft: Wie entfalte ich die in mir schlummernden individuellen Kräfte und Fähigkeiten? Wie erkenne ich, welche Kräfte in mir unerweckt ruhen, welche mir eigentümlich sind? Wie gelange ich also zur Produktivität? Das heilige Land der persönlichen Eigenart zu entdecken, war für Goethe die erste Stufe zu jedem Schaffen. Doch nur die erste Stufe, d. h. Anfang und Grundlage der pro duktiven Tätigkeit, nichts mehr, aber auch nichts weniger. Die zweite Stufe bestand in der Ausbildung aller Kräfte, sobald diese erst einmal vom Ich erkannt werden konnten, was überhaupt schwieriger und seltener geschieht, als man glaubt, obwohl es so einfach und selbstverständlich zu sein scheint, wie alle großen Dinge. Die Entdeckung des Landes vom ureigenen Ich ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, und doch geht es hier wie oft mit den ir dischen Gütern: Man bleibt beim Mittel stehen, verfängt sich in seinen goldenen Netzen und verzappelt darin. Auf solcher Warte war Goethe von dem humanistischen Ideal der Bildung in antikem Sinne durchdrungen, vom ao