DAS AHNENBiLD Im Spätsommer 1785 brachen zwei Neuvermählte von Wien nach dem weltentlegenen Norden Deutschlands auf. Ihr Ziel war Eutin, die freundliche Residenz der Fürstbischöfe aus dem Hause Holstein-Gottorp. Die blutjunge Dame war eine auffallende Schönheit, sanft, blond und blauäugig. Der Kavalier war im Begriffe, mit einundfünfzig Lenzen zwar nicht sein letztes, Wohl aber sein folgenschwerstes Liebesabenteuer zu bestehen. Je weiter die Landpost das ungleiche Paar durch Böhmen, Sachsen, Bran denburg und Hannover nach Hamburg hin trug, desto beklom mener wurde es der jungen schönen Frau ums Herz, desto red seliger pries ihr stattlicher Gebieter die Freuden des Reisens. In einem Nürnberger Kartenstich, der mit vielen blauen, grünen und rosaroten Flecken und Klecksen das zerrissene Bild des „Römisch- Germanischen Imperiums“ vorstellte, las er die Erinnerungen seines Lebens. Nicht weit von der Stelle fuhr man dahin — die alte Karte nannte noch nicht den berühmten Ortsnamen: Roß bach —, wo er als Leutnant der Kurfürstlich-Pfälzischen Garde im Kampfe der Reichsarmee gegen Friedrich von Preußen ver wundet wurde und einem kurzen, nicht ernstzunehmenden Offi ziersdasein entsagt hatte. Weiter und weiter ging’s über Sand und Lehm nach Norden, durch das Land des Siegers von Roßbach und Leuthen, der dort bei Potsdam sein heroisches Leben zu Ende träumte. Weiter und weiter flüchteten sich die Gedanken der jungen Frau zu den Ländern, Städten und Menschen, die man auf der Fahrt in die nordische Ungewißheit hinter sich ließ. Ein unbe kanntes Heimweh schlich in ihre Seele. Dies Gefühl war ihr fremd geblieben, als sie, ein Kind von zehn Jahren — sie hatte nie er fahren, weshalb eigentlich, ob nur ihres schönen Gesangstalents wegen —, von reichen Gönnern nach Neapel mitgenommen