DER KELCH GING VORÜBER Der Triumph des Freischütz in Wien, die minder lauten, aber doch in der musikalischen Fachwelt nachdrücklich erörterten Er folge des Werkes in Karlsruhe (2. Dezember), Leipzig (23. Dezem ber) und Frankfurt (3. Januar 1822) hatten zur Folge, daß man sich in Dresden immer heftiger danach sehnte, die Oper an der Wirkungsstätte Carl Maria v. Webers zu hören. So unwieder holbar der tief erregende Eindruck der Berliner Freischütz-Urauf führung gewesen war, so wichtig es für die weitere Bewährung von Webers politischer Volksoper schien, daß sie sich im reaktio nären Metternichschen Wien durchgesetzt hatte —: in Dresden wurde ihr Schicksal doch erst für lange Zeit besiegelt. Aus Kreisen der Abendzeitungspoeten wurde sogar die beschönigende Auf fassung verbreitet, daß Dresden durch die Verspätung nur ge wonnen habe. Für die Stimmungsmache bedeuteten die bisherigen Bühnenschicksale des Freischütz jedenfalls vorzüglichen Stoff. Friedrich Kind erfaßte die Lage als jederzeit zugriffsbereiter Propagandist, indem er der soeben erscheinenden Erstausgabe seiner Freischütz-Dichtung (bei Göschen in Leipzig 1822) eine Erklärung nachschickte, die sich gegen die Verstümmelungen des Werkes durch die Wiener Zensur richtete; er verteidigte die Rechte des Autors mit Schillerschem Pathos und großartiger juristischer Geste. Webers Propaganda bestand in der emsigen, stillen Tat. Mit Bangen und Unlust hatte er anfangs der Premiere in Dresden ent gegengesehen. Dann aber fühlte er, was auf dem Spiele stand, und konzentrierte alle Gedankenkraft, die sonst schon dem Wiener Opernprojekt galt, auf den Freischütz. Die Preußische Staats bibliothek in Berlin besitzt ein Schreiben Webers, die „szenischen Anordnungen des Freyschützen betreffend“. Es ist höchstwahr-