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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1860
- Erscheinungsdatum
- 1860-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186010228
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18601022
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18601022
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1860
- Monat1860-10
- Tag1860-10-22
- Monat1860-10
- Jahr1860
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1860
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Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Kömgl. Bezirksgerichts und des Raths der Stadt Leipzig. 296. Montag den 22. October. «W 1M>. Ein Winter unter der Erde. (Fortsetzung und Schluß). Kaum waren wir so nett und behaglich als möglich in unfern unterirdischen Winterquartieren eingerichtet, als man mich eines Abends aufforderte, an einer feierlichen Prozession Theil zu nehmen, die sich seit unvordenklichen Zeiten jedes Jahr auf einen benach barten Hügel begiebt, um die Sonne für das Jahr zum letzten Male zu sehen und von dem Tagesgeftirn Abschied zu nehmen. Es war rin wunderlich malerischer Anblick, dem auch das Rüh rende nicht fehlte, diese Versammlung von Landleuten jeden Alters, von dem alten Großvater, der am Stabe wankte und die zittern den Hände über die Augen hielt, um die schnell sinkende Sonne noch einmal zu beobachten, die erst nach einem ganzen langen Winter wieder erscheinen soll und die er vielleicht im Leben nie wieder erblickt, bis zu dem kleinen Kinde herab, welches zum ersten Male, seit sein Verstand erwacht, Zeuge dieses Schauspiels war. Alle waren da — die Mädchen und jungen Bursche, die ehrwür digen Alten und schwachen Matronen, die bereits zitterten in der ominösen Kälte, welche die Luft erfüllte, die abgehärteten Jäger und Rennthierhirtenalle, Junge und Alte, blickten mit gleichen Empfindungen auf die niedersinkende Sonne. In mir regten sich allerlei seltsame Phantasien und poetische Erinnerungen als sie sich dem Horizonte näherte, um endlich hinter demselben zu ver schwinden. Ich gedachte der mystischen Verse Tegners, die viel leicht durch den Anblick eines solchen Verschwindens*der nordischen Sonne angeregt wurden. Es kam mir auch in den Sinn, ob ich nicht zu voreilig und thöricht gehandelt als ich mir vorge nommen, einen Winter in Lappland zuzubringen wie ein Maul wurf in seiner Grube. Ich begann mich zu sehnen nach der Heimath, wo die Sonne viele viele Tage, wenn auch auf knistern den Schnee und blattlose Bäume, scheinen würde, während ich in finsterer Nacht hier weilte. Da — war die rothe Sonne unter den Horizont gesunken! Ein trübes schweres Zwielicht senkte sich wie durch einen Zauberschlag über die schöne Landschaft, die noch im Sommerlächeln da lag. So war die Königin des Lichtes ver schwunden und König Frost sollte über ihr verlassenes Reich mit unbeschränkter Gewalt herrschen! Aber horch auf die langgedehn ten wehklagenden Töne eines lieblichtrauriaen LiedeS — eines alten heidnischen Gesanges noch aus jenen Tagen als Freia ver ehrt wurde, Freia, zugleich die Venus und der Sommer dieses Volkes — mit dem tue Lappländer um mich her den scheidenden Tag beklagten. Und nun die lange, lanqe Nacht! Schon als wir uns wendeten, um den Hügel zu verlassen, nachdem auch der geringste Schimmer verglommen war, wehte ein eisig kalter Hauch von dem trüben Nordweften her; er durchschauerte mich und ich zog meinen Mantel fester um mich. „Es ist der Schneewind," sagte ein alter Lappländer als wir still nach dem Dorfe hinunter gingen. »Nun giebt es keine Blumen mehr, welche die Mädchen ins Haar flechten könnten." Ich gestehe, es war mir so ziemlich zu Muthe wie einem furchtsamen Kinde, das man allein im Dunkel gelassen hat, und ich verwünschte meinen Einfall, den Wmter hindurch bei den Lappen zu bleiben. Ja, wenn ich mich nicht geschämt hätte, ich würde Peter Wau den Antrag gemacht haben, mir sein Boot zu leihen bevor daS Eis den Fluß versperre, damit ich, wie ein Zug vogel, der Sonne nach fliehen könne. Die Gegend kam mir vor, als verändere sie sich bereits in dem ungewohnten Zwielichte, die wohlbekannten Felsen des ThaleS, die weithin liegenden Moore und die Föhrendick chte erhielten ein unheimliches Aussehen, selbst die Gesichter und Gestalten meiner lappländischen Freunde kamen mir wunderlich und grotesk vor in dem tiefen Schatten. Auch beängstigte mich das seltsame Bewußtsein, daß alles dies nicht etwa ein Traum sei, sondern wirkliches wachende- Leben, — daß ich wirklich die Sonne in ein Dunkel habe sinkn sehen, das läüger als ein halbes Jahr dauern sollte, und daß ich versuchen mußte einen Winter hindurchzukommen, in dem selbst Schehe- zarade ihren Mährchenschatz hätte erschöpfen müssen. Aber an diesem Abende noch gab eS lustige Gelage in den unterirdischen ' äusern. Peter Wau als Vorsteher des Dorfes tractirte alle ichönen und Wohlhabenden (wie alle Häßlichen und Armen) von Kublitz in seinen gastfreundlichen Räumen unter der Erde. Fackeln flammten, leuchteten und knisterten; Lampen, mit Seehundsthran und Rennthierfett gefüllt, wurden angezündet und an allen Ecken der unterirdischen Wohnung aufgehangen und sehr bald rief das eintönige oder ungeduldige Schlagen der lappländischen Tromm» l die Gäste herbei. Ganz Kublitz fand sich ein, jung und alt, in Festkleidung. Es gab Spiele und Näschereien für Kinder, Tanz für die Bursche und Mädchen, so wie Tabak, Plaudern und Branntwein in Fülle für die Alten. Ern Rennthier — ein nied liches milchweißes Thier, das ganz verschwand unter den Blumen, mit denen es bekränzt war — wurde an einer Guirlande vcn sechs jungen Mädchen durch die Räume geführt. Sechs junge Jäger folgten, jeder mit gezogenem Degen, die sie bald zu dem alten skandinavischen Schwerttanze gebrauchen sollten. Das Or chester bestand aus den wunderlichst aussehenden Instrumenten, denen man aber — denn die Lappen sind sehr musikalisch — doch liebliche und ergreifende, lustige und aufregende Töne zu entlocken wußte. Einen solchen muntern, kräftigen, flinken Tanz habe ich mern Lebtage nicht gesehen. Wenn eine Gesellschaft solcher Tänzer durch Europa ziehen wollte, würden sie überall Bewunderung er regen. Die Musik weckte sogar in mir selbst längst vergessene Gefühle, so daß ich halb wünschte mit zu tanzen und tief be dauerte, daß ich zu alt, zu groß und zu schwerfällig sei, um einen Tänzer für eine der zierlichen, feingliedrigen jungen Lapplände rinnen abgeben zu können, die sich vor mir trippelnd herumbe wegten. Peter Wau erbot sich mir eine Tänzerin zu suchen, aber ich sah es ihm an den Augen an, daß er nur Spaß machte und ich hätte auch, wie Gulliver unter den Lilliputern, fürchten müssen, meine Schöne zu zerdrücken. Die luftige Gesellschaft der kleinen Leute unter der Erde gewährte in der Thal ein wunderbares Schauspiel und sie erinnerte mich an den Dämon Sherf der schottischen Legenden und ihre Feste in einem verzauberten Berge. Kaum konnte ich dem Gedanken wehren, daß ich wirklich ein Gast oder Gefangener einer Schaar schmausender Gnomen od>r in das Feenland versetzt sei und nur eine schwache Hoffnung habe, die wirkliche Welt unter der Sonne jemals wiederzusehen. Peter Wau, der größte Mann in der Gemeinde, hatte die riesige Länge von beinahe fünf Fuß und mit seiner rochen Mühe, die er keck auf das graue Haar gesetzt hatte, mit dem ungeheuer» weißen Barte, der wie ein gefrorner Fluß niederströmte, mit dem gleichförmig röthlichbraunen Anzuge sah er genau aus wie der Gnomen-König, den die nordischen Sagen und Mähtchen be schreiben. Die noch zwerghaftere Gesellschaft gewährte jedwede Mannichfaltigkeit von der grotesken, hexenartigen Häßlichkeit der alten Weiber bis zu der diminutiven km derartigen Schönheit eini ger der jungen Mädchen. Die Kinder waren fast alle hübsch und blühend, aber das Alter scheint mit so entsetzlich raschen Schritten unter diese Bewohner der kalten Welt zu treten wie unter die sonnverbrannten Asiaten. Vergebens sah ich mich nach den an genehmen Matronengesichjern um, die man in gemäßigten Kli mmen überall findet. Es schien ein unvermittelter plötzlicher lieber- gang von der zarten Jugend zu dem unheimlichen Alter zu be stehen. Einige der Männer waren prächtige rührige kleine Kerle, bewundernswürdig kräftig trotz ihrer Pigmäensigur und voll Feuer und Leben. Es ist mehr als einmal versucht worden Soldaten unter den Lappländern auszuheben, aber vergebens, denn die zier lichen Helden erscheinen lächerlich neben ihren reckenhaften Kame raden auS Schweden und Norwegen Nur ein schwedisch-lapp ländische- Scharfschützencorps besteht, da- sich der Schneeschuhe bedient und die Miliz an der Grenze hildet. Allein, nicht neben große Nachbarn gestellt, nehmen sich die Leute gattz gut aus.
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