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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1860
- Erscheinungsdatum
- 1860-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186010302
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18601030
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18601030
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1860
- Monat1860-10
- Tag1860-10-30
- Monat1860-10
- Jahr1860
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1860
- Autor
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Amtsblatt des Äömgl. Bezirksgerichts und des Raths der Stadt Leipzig. 304. Dienstag den 30. October. , * Unser Liebling. Solltest Du Dich wirklich besinnen müssen, lieber Leser? Nein, bist Du ein Deutscher, ein echter Deutscher, so will ich mein Leben verwetten, daß Du erkennst wen ich meine. Du würdest mich verstehen, auch wenn der 10. November nicht an der Schwelle der Gegenwart stände. — Am nächsten 10. Nov. wird e- ein Jahr werden, daß Leipzig sich vergebens festlich schmückte Tag und Nacht, um diesen Tag herrlicher und prächtiger zu feiern als andere deutsche Schwesterstädte es thaten. Der 10. November kommt wieder, er kommt und fragt Dich: „Kennst Du mich noch? Liebst Du mich noch?" Und gewiß, Du antwortest mit mir: „Ja, ja, ich kenne Dich noch, Schiller, ich liebe Dich noch und verehre Dich noch und werde Dich lieben und verehren so lange ich lebe, so lange ich liebe und verehre das Dreigestirn des Guten, Wahren und Schönen." O möchte jeder Deutsche so antworten können! Denn Schiller lieben heißt wahrhaftig nichts weniger, als ihm und seinem Streben verwandt sich suhlen. Nicht jeder aber fühlt sich dem Hohen, dem Edlen verwandt. Der 10. November ist ein Tag der Prüfung und eS ist aut, daß eS so ist. Auch die Nationen haben ihre Maturitätsprüfungen; und ob die deutsche die ihre «mm xloris bestanden, das hat der 10. Nov. von 1859 noch keineswegs absolut bewiesen, das werden erst die 10. November der folgenden Jahre und besonders der von 1860 zur Gewißheit erheben. — Wahrlich eS mag wohl Mancher im Festzuge mit gewandelt sein, der Schiller wenig ähnelte, und Mancher scheinbar müßig zugeschaut haben, der würdiger diese Stelle vertreten hätte. Gern möchte ich mich hierin irren, gern auch meine Erwartungen vom nächsten 10. November in dem selben Verhältnisse übertroffen sehen, wie die vom 10. November de- vorigen JahreS. Doch was soll, könnte vielleicht hie und da Einer fragen, was soll am nächsten 10. November zu erwarten oder zu thun sein? Sorgt nicht der Schillerverein in gewohnter Weise ganz von selbst für Gelegenheit zur würdigen Feier des selben? Nun ja, alle Ehre und Anerkennung unserem Schiller vereine, der wohl nlS der erste in ganz Deutschland genannt wird; aber meinst Du wirklich, lieber Leser, daß sich die Schillerfeier in Leipzig auf dessen Schillerverein beschränken werde oder beschränken sollte? O nein, o nein, die Schillerfeier muß größer sein, muß auch in Leipzig größer sein! Ich wenigstens sehe voraus, und was wohl auch sicher geschehen wird, daß viele Familien, und die Deinige, liebster Leser und Leserin mit, zur Zeit des 10. November nun und nimmermehr vergessen werdm, im trauten Kreise ihrer theurm Häupter irgend ein Ge dicht auS Schiller zu lesen oder vorlesen »u lassen. Aber auch die- will mir noch nicht genügen.. Die Schillerfeier muß größer sein; der 10. November muß ein wahrer Festtag sein, muß eS sein und bleiben für alle Zeiten, muß eS sein so lange die deutsche Zunge klingt. ES drängt sich hier die Frage auf, ob eS denn nicht möglich sei, einem allgemeineren Publicum als der Mit- allederschaft de< Schillervereins die Gelegenheit zu verschaffen, durch Anhörung einer Rede und eine- Liede- sich zu erbauen? Es fragt sich, ob denn nicht wenigstens eine allgemeinere Nachfeier statt finden könne, die sich diesmal ganz besonders gut au-führen ließe, da dem 1V. November ein Sonntag folgt, der einem größeren Theile von Leipzig- Bewohnern Muße gewährt? Jedenfalls soll diese Frage dem löblichen Leipziger Schillervereine und seinem Vorstande hiermit besten- empfohlen sein. — Nur den einen Wunsch muß ich noch au-sprechen, dm Wunsch, daß Leipzig den 10. No vember al- einen Tag der Prüfung ansehm und sich von den Bürgern anderer Städte nicht möge beschämen lassen, ja daß e- sich von seinem früheren Selbst, von dem Leipzig von 1785 nicht möge beschämen lassen, denn auf jene- Leipzig bezog sich zunächst der geistvolle Trinkspruch auf Schiller, den der Geheimerath rc. von Wächter am 10. November vorigen Jahre- bei der Festtafel im Hotel de Pologne ausbrachte und worin eS unter anderem hieß: „Doch kann ich für die Vergangenheit al- Leipziger und kann Leipzig überhaupt einen großen Trost schöpfen. Von wannen wurde die erste freundliche Hand geboten, die ihn mit dem Schick- al versöhnte? Wohl hatte er einzelne Freunde in nächster Nähe, aber von fern reichte ihm fast niemand die Hand; da waren e- zwei schöne Jungfrauen, wie an ihnen Leipzig auch heute noch reich ist, wie schon ein Blick auf unsere Versammlung zeigt; sie und ein Sachse von echtem Schrot und Korn boten ihm, dem persönlich Fernstehenden und Unbekannten die Freundschaft-Hand und zogen ihn nach Leipzig und da ward er wieder warm im Glauben an die Menschheit, ermuthigt seinen großen Weg weiter zu gehen."*) Nun Ihr Bürger von Leipzig, Ihr könnt nicht mehr zurück. Der 10. November von 1859 hat eure Liebe verrathen und wahr lich, Ihr braucht euch derselben nicht zu schämen; so verläugnet sie denn auch nicht, und erkennt im 10. November den Tag der Probe und Prüfung! R. x. öl. *) S. die Broschüre: Das Schillerjubiläum in Leipzig, 1860, (Hin- richs'sche Buchhandlung) S. 68. Steckbriefe auf unausstehliche perfonnagen.*) . Der Lion. Um zu erkennen, wie es um die UrthellSkraft und sittliche Würde selbst in den gebildeten Schichten steht, muß man die Leute näher in's Auge fassen, welche sich namentlich in kleinern Städten rasch eine Geltung verschafft haben und entweder att Personen von Distinction, als besonder- noble Cavaliere, oder gar als Genie- debütiren dürfen. Die Requisiten, mit denen sie die- Relief er langen, bestehen bald in einem von Talenten und Geldmitteln unterstützten nobeln Air, bald in liebenswürdiaen und gewandten Umgangsformen oder in einem schlagfertigen Witz, dessen Dreistig keit sich Niemand gegenüber zu stellen wagt, endlich in einer Ver schwendung, durch welche die Leute in der Form von Gastlichkeit und nobler Lebensart bestochen werden.. Immerwährend geschieht eS, daß diese Tractir - Talente und Kneip-Genies oder diese Raufbolde mit einem Anstrich von Cava- lier-Comment ihr Debüt im ersten Act als Löwen, Volkslieblinge und Gentlemans beginnen, um im letzten Act als Wüstlinge, Lumpe oder Hundsfötter am Pranger zu stehn. Aber immer wieder beißen selbst gescheuter- und bessere Leute auf einen Patron an, der etwas englisch und französisch spricht, in Musik, Literatur und TageS-Parolen macht, ein OfficierS-Patent, ein AdelS-Diplom oder auch nur einen alten Familien-Namen aufzuwetsen hat, seinen Schnauzbart zu streichen, seine Figur und seine UmgangS-Talente zu präsentiren, dazu mit einigem Anstande oder vielmehr mit Re nommage Geld zu verschwenden versteht. — Die Leute können oder wollen nun einmal nicht begreifen, daß jede Art von Ostentation verdächtig ist, und daß sich auch die feinste Renommage schwerlich mit einem inner» Leben und innerer Genugthuung verträgt; daß nur ein Hohlkopf und ein profaner Sinn um den flüchtigen Beifall der Menge buhlen kann; daß bedeutende und solide Menschen zurückgezogen leben und ihre Talente nur im mgern Freundes kreise produciren. Wir können nun zwar unmöglich Genie- vom ersten Range zu Dutzenden sein; wenn wir'- aber nicht sind, ft sollen wir uns nicht so geberden, al- ob wir eben da- geniale Jncognito lieben; *) Der Humor ist in unsrer neuen Literatur so selten, daß man sich /reut, wenn man irgend wo Spuren davon antrifft. Deshalb machen wir mit dem Vorstehenden auf die „Typen der Gesellschaft. Ein Compli- mentirbuch ohne Complimente von Bog. Goltz" (Grünberg, Levysohnsche Buchh.) aufmerksam. - D. Red.
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