2 Schölte, Johann Jacob Christoph von Grimmelshausen und die Illustrationen seiner Werke. Ausgabe von Grimmelshausens Werken (Kürschners National-Litteratur), Band III, Einleitung Seite 13: „Eine Einzelausgabe scheint nicht bekannt zu sein“ — es findet sich aber jetzt ein Exemplar in der Kgl. Bibliothek in Berlin, dessen Titelkupfer ich nebenstehend wiedergebe. (Vgl. auch „Zeitschrift für Bücherfreunde“, Jahrgang II, Seite 149). Man sieht, daß fast alle Vorstellungen des Kupfertitels uns schon aus der Beschreibung im Calender bekannt sind: der Ochs und der Metzger, das Wild und der Jäger, der Bauer und der Soldat, der Arme und der Reiche. Die Erklärung des Titelkupfers hält sich natürlich eng an das in Rede stehende Bild: Der Hirsch den kühnen Jäger legt, Der Ochs manchmahl den Metzger schlägt, Der Arm dem Reichen Steuer trägt, Zur Arbeit der Soldat sich regt, Der Bauer in Waffen sich bewegt, Solch Ding die Welt zu üben pflegt. Ist es also nicht im geringsten zweifelhaft, daß die Erzählung von dem „Kunckel-Brieff der schönen Spinnerin“ in Grimmelshausens Calender zu seiner „Verkehrten Welt“ in Beziehung gebracht werden muß, so erhebt sich jetzt eine andere Frage, nämlich, ob wir für die Er zählung auch Beziehung zur Wirklichkeit vorauszusetzen haben. Da ist nun zweierlei zu unter scheiden: erstens ob wir annehmen müssen, daß die Anregung zu Grimmelshausens „Verkehrter Welt“ tatsächlich von einem Kupferstich ausgegangen sei, zweitens ob die Umstände, unter denen er das Kupferstück aufgefunden haben will, mit der Wahrheit übereinstimmen. Daß Grimmels hausen mit seiner Erzählung eine bewußte Anspielung auf seine „Verkehrte Welt“ machte, kann man nicht bezweifeln; wenn man dabei weiter beachtet, daß der Calender überhaupt viel Persönliches und auch Kontrollierbar-Wahres enthält, wenn man bedenkt, daß ähnliche Kupfer blätter von der „Verkehrten Welt“ auch zu seiner Zeit nicht selten waren und sich fürs XVII. Jahrhundert ein paar starkverwandte Darstellungen nachweisen lassen, dann ist die Annahme berechtigt, daß eine bildliche Vorstellung von der „Verkehrten Welt“ bei Konzeption oder Aus führung der Grimmelshausenschen Schrift eine Rolle gespielt haben wird. Die andere Frage, ob man den näheren Umständen, unter denen der Fund geschehen sein soll, auch Glauben bei messen darf, scheint mir äußerst zweifelhaft; der humoristische Gegensatz zwischen dem leb haften Interesse des jungen Mannes für das tote Bild und der Vernachlässigung der schönen Besitzerin weist hier meines Erachtens auf eine rein-literarische Einkleidung hin. Nur ist es möglich, daß Grimmelshausen für die Lokalisierung seiner anekdotenhaften Erzählung in einer Spinnstube eine bestimmte Veranlassung hatte. Die Bezeichnung „Kunckel-Brieff“ könnte uns da den Weg zeigen. Über dieses Wort „Kunckel-Brieff“ findet sich an der Stelle, wo man zunächst sich zu orientieren geneigt ist — dem vorzüglichen K-Band des großen deutschen Wörterbuchs — leider nichts. Es läßt sich aber wohl etwas darüber nachweisen. Eine zweite Stelle, aus der mir das Wort bekannt ist, bildet zu der Grimmelshausenschen Erzählung eine erwünschte Er gänzung, da es da wirklich als Bezeichnung eines Kupferstichs — eine richtigere Vorstellung bekommt man vielleicht durch das Wort Bilderbogen, wenn man nur nicht außer acht läßt, daß es sich um ein in Kupfer gestochenes Blatt handelt — verwendet wird. Von diesem „Kunckel- Brieff“ ist sowohl in dem Germanischen Museum in Nürnberg als im Königlichen Kupferstich kabinett in Berlin ein Exemplar vorhanden; er enthält in vier Reihen sechzehn kleine Bilder, die durch die Unterschriften genügend charakterisiert werden: Ein dorff in einem Bauren saß, Der gerne leffel mit milch aß, Sampt einem grossen Wecke, Vier häuser hat sein Ecke, Vier wagen spandt er für sein pferdt, Sein küch stundt mitten in dem herd,