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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1862
- Erscheinungsdatum
- 1862-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186210080
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18621008
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18621008
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1862
- Monat1862-10
- Tag1862-10-08
- Monat1862-10
- Jahr1862
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1862
- Autor
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8558 Kaffee- und Kuchenparadieses, mein Brief wurde mit uneröffnel zurückgeschickt. Ach, nur diejenigen, welche die Güte von Tante RosaUenS Kaffeekuchen kannten, werden meinen Schmerz zu würdigen verstehen, der bloS durch die freilich schwache Hoffnung auf baldiges Wiedersehen einigermaßen gemildert wird. Aber zu meiner eigenen Schande muß ich e- gestehen, daß Tante Rosalie nicht die einzige Person gewesen ist, der die Meß fremdengeschichte im Tageblatt nicht gefallen hat. Am Abende jenes unglückseligen Tages, der mich meinem Sonntagskaffeeparadiese entfremdet hatte, saß ich ziemlich verstimmt in einer wenig besuchten Vorstadtrestauration, weil ich mir vor genommen hatte, „fern von Madrid" über mein Verhängniß nach zudenken. Ich mußte lange so dort gesessen haben, denn die Schaumaugen des Bieres waren schlafen gegangen und im Glase war wie bei der Meeresstille „glatte Fläche rings umher". Da nahm mir gegenüber plötzlich ein Fremder Platz und be stellte sich zugleich nebst dem „Töpfchen" auch das Tageblatt. Der Kellner brachte Beide- und der fremde Herr genoß Beides schluck- und satzweise. Woher aber wußte ich denn sofort, daß der lesende Trinker ein Fremder war? Je nun — aus dem ganz einfachen Grunde, daß jener Herr beim Lesen des Tageblattes mit den ersten und nicht mit den letzten Seiten, wo die Familien nachrichten und Einladungen stehen, begann, denn diese letztere Lesart gehört zur unwandelbaren Angewohnheit der Eingeborenen. Für mich gewann der Fremdling aber nothweudiger Weise doppelte- Interesse, denn grade auf der ersten Seite fing ja die verhängnißvolle Tantenmeßfremdengeschichte an. Mit Spannung wollte rch in seinen Zügen den Eindruck des Artikels lesen, aber eine Miene veränderte sich höchstens, wenn er einmal das Blatt eitwärt- hielt und da« Glas zum Munde führte. Je weiter er zu dem Ende kam, desto mißvergnügter wurde des Fremden Gesicht und endlich warf er das Blatt mit einem verächtlichen Lächeln von sich. Jetzt war für mich die paffende Zeit gekommen, ein Gespräch anzukoüpfen. „Eine recht sonderbare Geschichte, die heute da im Tageblatte steht, nicht wahr?" fragte ich ihn nicht ohne einige Beklemmung, weil ich so gern gehört hätte, daß er mir Unrecht geben würde. „Nicht bloS sonderbar, nein, abscheulich ist sie," fuhr der Mann auf. „Sie wirst in der Tbat ein ganz falsches Licht auf alle Meß fremde; denn wie leicht lägt sich in jedem derselben solch ein sau berer Patron, als dieser Schwindler eS war, vermuthen, der es bloS auf das Prellen seiner WirthSleute abgesehen hatte. Mich berührt diese Geschichte schon deshalb unangenehm, weil ich selbst ein Meßfremder bin und schon seit Jahren Leipzig wahrend der Messe auf der Durchreise besuche." „Aber ein Durchreisender ist doch kein Durchgehender", warf ich begütigend ein. „Sie haben in Ihrem ganzen Wesen etwas so Solides, daß ich selbst mit Vergnügen ein Unterkommen bei mir anbieten würde, wenn ich nicht selbst wegen anderen Meß fremden bis auf ein entsetzliches Platzminimum beschränkt wäre." „Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre gute Meinung, die Sie von mir so rasch gefaßt haben," entgegnete der Fremde; „allein unter keiner Bedingung würde ich mich je wieder dazu verstehen, eine Privatwohnung während der Messe zu benutzen. Meine erste und einzige Erfahrung in dieser Hinsicht hat mir einen unüber windlichen Abscheu dagegen eingeflößt." „Sie sind doch nicht etwa bestohlen worden?" fragte ich nicht ohne Entsetzen. „Oh, viel schlimmer als das!" war die Antwort. „Oder gar —" ermordet hätte ich beinahe gesagt, doch be sann ich mich zu rechter Zeit noch, daß ja doch der gute Mann mir augenblicklich lebendig gegenübersaß. Da ich aber doch wenig stens etwas hinzusetzen mußte, sagte ich nach einigem Besinnen, „oder gar — abgebrannt?" „Auch das nicht," erwiederte der Fremde und warf dabei so finstere Blicke um sich, „oh, mir ist viel Schlimmeres passirt; man hat mich gequält, gestört und mir auf unverzeihlichste Weise das jenige geraubt, was kein Mensch zu ersetzen im Stande ist." "Oho, das Herz!" sagte ich lachend und drohte dem fremden Schelme mit dem Finger. „Nein, mein Herr, eine Nacht Schlaf hat man mir geraubt, und da ich die Bequemlichkeit überaus liebe, so betrachte ich die- als ein Capitalverbrechen." „Nun merke ich e- schon ^Sie hatten wahrscheinlich Ihre Meß wohnung in einem unserer Mühlengrundstücke genommen," rieth ich, aber immer wieder falsch. Der Herr schüttelte beharrlich den Kopf und wollte anfangs meine Bitte, mir sein trauriges Abenteuer zu erzählen, durchaus nicht «Men. Da ich jedoch mit Bitte» nicht nachließ und ihn meines innigsten Mitgefühl- für seine Leiden schon im Voraus versicherte, so gab er endlich nach. Unsere Gläser wurden frisch gefüllt und hierauf begann er: „Ich zähle fünfundvierzig Jahre, heiße Müller und bin aus Stettin." „Das ist recht traurig," fiel ich ihm hier in die Rede. „Was ist traurig?" fragte verdutzt Jener. ..Daß Sie nicht au» Berlin sind; wir wären alsdann vielleicht verwandt, denn ich habe einen Vetter Namens Müller in Berlin," sagte ich, da ich eine Leidenschaft habe, bei Menschen, mit denen ich zum erste» Male zusammentreffe, verwandtschaftliche Beziehungen zu mir aufzufinden. „Qut mir leid, und ich glaube wohl, daß auch in Berlin einige Leute den jetzt nicht mehr ganz ungewöhnlichen Namen Müller führen; aber, mein Herr, es wäre mir angenehmer, wenn Sie mich m meiner Erzählung lieber nicht unterbrechen wollten," sagte Herr Müller aus Stettin im streng verweisenden Tone. Ich fühlte da- begangene Unrecht und bat um Verzeihung, in dem ich zugleich Besserung gelobte. Dann fuhr Herr Müller fort: „Vor fünf Jahren besuchte ich die Leipziger Messe zum ersten Male. ES war auch im Herbst, aber damals war da- Wetter abscheulich. Die lange Fahrt auf der Eisenbahn wurde durch die schlechte Witterung doppelt unangenehm und dabei unterwegs überall länger« Aufenthalt al» gewöhnlich, furchtbare- Gedränge, überfüllte Coupes, — kurz, Jeder kann sich glücklich fühlen, der eine solche Meßfahrt nicht mitzumachen braucht. Ich hatte unterwegs die Be kanntschaft eine- Berliner Kaufmanns gemacht, die mir für meinen ersten Aufenthalt in Leipzig vielen Nutzen versprach, denn dieser schon erfahrene Herr kannte die Meßstadt und ihre Eigenthümlich- keuen vollständig und unterstützte muh schon im Voraus mit seinen Rathschlägen. — „Wo werden Sie in Leipzig wohnen", fragte er mich unter Andern. — „Ich möchte Sie bitten mir einen guten Gasthof zu empfehlen, da ich noch gänzlich unbekannt dort bin", entgegnete ich. — „Wo denken Sie hin! Der Geschäftsmann zieht stet- in der Messe eine Privatwohnung vor, weil er da nicht nur ungestörter, sondern auch billiger wohnt." — „DaS ist wohl möglich, aber leider fehlt mir jede Localkenntniß in Leipzig und so werde ich nothgedrungen einem Gasthofe den Vorzug geben müssen." — „Seien Sie unbesorgt", tröstete er mich, „ich denke Sie werden in demselben Hause, wo ich schon seit Jahren wohne, ebenfalls ein Unterkommen finden und zwar bei sehr anständigen Leuten. Halten Sie sich nur bei unserer Ankunft in Leipzig zu mir; wir nehmen dann gemeinschaftlich eine Droschke und Sie werden mit meiner Empfehlung bestimmt ganz zufrieden sein." — Mir fiel bei dieser angenehmen Aussicht ein schwerer Stein vom Herzen, denn im Puncte der Bequemlichkeit war ich von jeher sehr verwöhnt. Es mochte gegen Mitternacht und etwa zwei Stunden nach der festgesetzten Zeit sein, als wir durch das Erlösungswort: Station Leipzig! — von den Qualen einer sechszehnstündigen Eisenbahnfahrt befreit wurden. Alles stürzte in Hast aus den Waggons, denn Jeder wollte der Erste sein, um eine Droschke oder einen Gepäckträger zu erlangen. — Jetzt halten Sie sich nur immer zu nur", rief mir mein Reisegefährte zu und stürmte,vor wärts, lndem er sich mit den Ellenbogen in dem furchtbaren Ge dränge Bahn machte. Ich folgte ihm so gut ich konnte, doch kaum hatte ich die AuSgangSthüre der Bahnhofshalle erreicht, al- auch mindestens ein Dutzend Hausknechte mich anhielten und mir als lebendige Empfehlungskarten die Namen ihrer Hotels in die Ohren schrieen. — „Laßt mich loS", schrie ich verzweifelt, denn mir war schon der Berliner aus den Augen gekommen, „ laßt mich loS, ich null in kein Gasthaus, ich nehme nur eine Privatwoh nung!" — „Aha, der Herr will eine Privatwohnung", hohnlachten die roth oder blau beschürzten Geschäftsvertreter nächtlichen Unter kommens und stürzten sich andern Opfern entgegen. Ich aber stürmte weiter m der Richtung hin, welche mem neuer Berliner Freund eingeschlagen hatte. Allein so emsig ich auch suchte und forschte — ich hatte seine Spur verloren und in dem Gedränge vor dem Bahnhofe war er nirgends mehr zu finden. In meiner Verzweiflung rief ich laut: „Wo ist der Herr auS Berlin?" — und mehr als hundert Stimmen riefen lachend von allen Seiten aus dem nächtlichen Dunkel: „Hier — hier bin ich!" — (Fortsetzung folgt.) Universität. — Die soeben veröffentlichte Promotionenstatistik de» Sommersemesters 1862 (1. April bis ultimo September) weist über haupt 36 Doctorpromotionen in allen vier Facultäten aus. Die theologische Facultät creirte diesmal keinen Doctor, die Iuristen- facultät dagegen deren 10, die medicinische 11, die philosophische 15. Außerdem wurde einem Dresdner Militairarzt der Jenenser Doctor- titel für Sachsen anerkannt. AuS dem Lehrercollegium unserer Universität wurde dieser Tage Geheimerath vr. Ruete auf Kosten des Cultusministeriums zu einem Gelehrtencongreß nach Paris gesandt. Dort hielt nämlich im Saale äu Or»aä Orient äe die voriges Jahr unter dem Vorsitz unseres berühmten Ophthalmologen zusammengetretene und gegründete Soeiötö uviveroellv ä'opdtbalmvlogi» ihre zweite Jahresversammlung zur definitiven Feststellung ihrer Statuten rc. ad. Die Sitzungen begannen am 30. September und dauerten bis 3. Oktober. Künftig wird der Ort der Jahresversammlung nach den verschiedene» Sitzen der elf permanenten EomittS der Gesell schaft wechseln und somit seiner Zeit auch die Reihe an Leipzig komme«. Die übrigen Orte — maßgebend war da- Vorhandensein von Klinik» für Lugenkanke — sind B«lm, Brüssel, London
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