Neuntes Kapitel Phänomene und Gesetze der Produktivität Ich würde in dem geringsten Dorfe und auf einer wüsten Insel ebenso betriebsam sein müssen, um nur zu leben. Goethe Einer der klügsten Ärzte unserer Zeit, Carl Ludwig Schleich, bekannte vom produktiven Menschen, er »kann nicht anders als fleißig sein, er muß sich betätigen, wie das Feuer brennen, das Wasser fließen muß«. Bereitschaft der Seele und des Geistes, Empfänglichkeit für neue Dinge, cupidus novarum rerum - das sind die wichtigsten Zeichen des produktiven Menschen. Vor allem anderen jedoch ein Verzicht auf Gewohnheiten des Alltags, soweit sie unproduktiv sind, während die ungeheuere Macht der Gewohnheit, die fast noch mehr als der Glaube die Fähigkeit hat, Berge zu versetzen, in den Dienst produk tiver Dinge gestellt zu werden vermag. Der Fluch des All tags besteht nicht zuletzt in der Abstumpfung durch Ge wohnheit, die neue Keime produktiver Art oft tötet. Wir verstehen ja überhaupt unter »Angewohnheiten« meist etwas Negatives. Denn die meisten Menschen gewöh nen sich nur mehr oder minder große Unarten an. Aber man kann sich auch bis zu einem gewissen Grade Produk tivität »angewöhnen«! Und dieser Weg zu ihr ist keines wegs zu verachten, weil das Schwierigste durch Gewohnheit, dieser stärksten Macht in unserem Dasein, leicht wird. Ge rade zum Unterbewußten führt uns die Gewohnheit am ehesten: Was wir täglich tun, entschwindet bald aus der vollen Helle des Bewußtseins, um sich ins Unterbewußte hinabzusenken. Dies berührt das Sprichwort: »Gewohnheit stumpft ab.« Gerade weil Angewohnheiten zu einem Teil des mecha nisierten Ichs geworden sind, könnte eine schlaue »Produk- 12* *79