274 VIERTER TEIL verschiedene Gruppen geordnet sind . . . Und Gott liebt sie alle.« Was Hildegard im zwölften Jahrhundert empfand, das vertraten auch in späterer Zeit nicht nur die Theologen, sondern auch Männer wie der Flame Chastellain [f 1475], die den französischen Adel priesen: »Gott hat das gemeine Volk erschaffen, um zu arbeiten, um den Boden zu bestel len, um durch den Handel dauerhaften Lebensunterhalt zu schaffen, die Geistlichkeit für die Werke des Glaubens, den Adel aber, um die Tugend zu erheben und die Gerechtig keit zu handhaben, um durch die Taten und Sitten ihrer schönen Person den anderen ein Vorbild zu sein. Die höch ste Aufgabe im Staat, die Beschirmung der Kirche, die Ver breitung des Glaubens, der Schutz des Volkes vor Unter drückung, die Handhabung des allgemeinen Wohls, Be kämpfung von Gewalt und Tyrannei, Befestigung des Frie dens, Chastellain weist sie alle dem Adel zu. Wahrheit, Tap ferkeit, Sittlichkeit und Milde sind seine Eigenschaften. Und der Adel Frankreichs, sagt dieser hochtrabende Lobredner, entspricht diesem Idealbild. Man spürt im ganzen Werk Chastellains, daß er auch tatsächlich die Geschehnisse seiner Zeit durch jenes farbige Glas sieht.« Der Bauernstand umschließt alle, die mit eigener Hände Ar beit den Acker bebauen, es sind hinsichtlich ihres Rechts standes mannigfache Gruppen: Freie, Halbfreie und Frei gelassene, Unfreie, Grundhörige und Leibeigene. Der ganze Stand, der trotz der verschiedenen Rechtsverhältnisse ein einheitlicher ist, gilt samt dem der Kleinbürger als dienen der Stand in sozialer wie in politischer Beziehung, er bleibt durch das ganze Mittelalter hindurch dem Adel unterstellt und ihm zu Dienst verpflichtet. Das gilt auch von dem klei neren Teil, der sich die alte Gutsfreiheit zu retten wußte, die einst die Germanen sich erworben hatten, als sie die rö mischen Domänen eroberten und nun selbst zu Gutsherrn wurden an Stelle der römischen. Die Merowingerzeit machte die alten römisch-kaiserhchen Domänen zu Krongütem und übergab große Teile derselben den Getreuen des Königs. Die Kolonen, die sie bearbeiteten, wurden ihre Untertanen,