IDEE UND WIRKLICHKEIT 289 tisch sind, zu der sie aber soziologisch gehören — in ihrer Blütezeit »nicht vom Egoismus, sondern vom kräftigsten Gemeingeist getragen« sein. Sie forderte von ihren Gliedern die Einstellung in den Dienst am Ganzen und stand ihnen so nahe, wie uns heute nur etwa Familie und Staat. Bildete sie mit anderen Einungen selbst ein körperschaftliches Ganzes, so bedeutete dies auch für sie selbst Verzicht auf Sonder zwecke, aber Vorteil im Ganzen zugleich. So glaubt Gierke ihr den historischen Beruf zueignen zu sollen, die mit dem Zerreißen des Feudalbandes zerfallende Staatseinheit auf fö derativem Wege zurückgewonnen zu haben; die Kraft des Einigungsgedankens war am Ausgang des Mittelalters die Rettung der Reichseinheit. Uber die außerordentlich fruchtbare Entfaltung der deut schen Genossenschaftsidee im Zeitalter der Gilden und Zünfte besteht kein Zweifel, auch nicht über die die Arbeit verklärende Verbindung des kirchlichen Glaubens und Le bens mit dem Zunft- und Innungswesen, die jeder Zunft ihren Schutzheiligen gab, reiche Stiftungen für die Kirche errichtete, für die Erziehung der Lehrlinge und Gesellen sor gen ließ, der Verstorbenen gedachte, in der Caritas, wie schon hervorgehoben wurde, echtes hilfsbereites Christen tum darlebte. Auch die Geselligkeit fand hier in Verbindung mit religiösem Brauchtum und kirchlichen Feiern ihre Pfle ge. Und schließlich verknüpfte die Zunft mit der Sorge für das Seelenheil ihrer Glieder als Körperschaft öffentlichen Rechts die Abwehr des Unrechts. Es bildeten sich Schutz gilden, die da, wo der Staat versagte, durch Selbsthilfe dem Rechte Anerkennung verschafften. All dem ist niemand liebe voller bis ins einzelne nachgegangen als Gierke. Das Gilden- und Zunftwesen des städtischen Bürgertums hat die alternde Feudalverfassung revolutioniert und im Ge nossenschaftsgedanken altes germanisches Erbgut neu und in den Formen einer neuen Zeit erweckt. Rechtsgeschicht lich ist seine Stellung eindeutig festgelegt, soviel im ein zelnen über seine geschichtliche Entstehung und Entwick lung noch ungeklärt bleiben mag: Die Genossenschaft ver-