294 VIERTER TEIL kurzsichtige Engherzigkeit, obgleich er diese Keime erst in späterer Zeit sich auswachsen sieht. Das städtische Bürgertum setzt wie neue Rechts- und Ge meinschaftsformen im Laufe seiner Entwicklung auch ein neues Menschcmpfmden, ja schließlich eine neue Kultur der Adelskultur entgegen. Das »unmittelbare blutmäßige Emp finden und Reagieren« des Rittertums wird abgelöst durch ein rationales Moment, durch die gedankliche Verdünnung eines ,Allgemeingültigen 1 «, der adlige »Machtreichtum« durch die bürgerliche »Reichtumsmacht« [Sombart]. Die dem Adel von Geburt selbstverständliche, in seiner Stellung als Grundherr verwurzelte, im sozialen Leben schlechthin geltende Freiheit muß im Bürgertum, in der »Stadtluft« erst »gemacht« werden, und zwar nicht nur die Freiheit im Sinne der rechtlichen Unabhängigkeit, der Ablösung des Hörig keitsverhältnisses des in die Stadt vom Lande Zuziehenden, sondern auch im Sinne der Lösung aus alter Bindung des Empfindens, der Sitte und schließlich auch des Glaubens. Der Bürger stellt sich allmählich auf eigene Kraft und eige nes Können, nachdem der Lehensgedanke von Herrschaft und Dienst, von Treue gegenüber der scheinbar selbstver ständlichen, auf Grund und Boden fußenden weltlichen und geistlichen Macht durch die Entwicklung der Stadtverhält nisse seine Wirkkraft verloren hatte und an seine Stelle das Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen getreten war. »An Stelle des frommen Blicks nach oben trat der trotzige Bhck auf sich selbst«, und im Selbst entdeckte der neue Mensch die Macht seines eigenen Denkens und seines persönlichen Willens, eben seiner »Freiheit«. Das Denken wurde »egali tär«: Nicht Standesprivilegien begründen den Wert des Menschen, der Mensch als Mensch ist wertvoll und hat in sich die »allgemeine« Vernunft, die ihn lehrt, der eigenen Einsicht zu vertrauen und die Autorität nach ihrem Rechte zu befragen. Nur langsam jedoch entwickelt sich dieses Denken. Der mit telalterliche Bürger war in seiner Bindung an die Zunft, in seinem Pochen auf deren Privilegien noch kein »Rationa-