IDEE UND WIRKLICHKEIT 295 list«, kein Vertreter einer autonomen allgemeinen Men schenvernunft. Aber im Bürgertum reifen diese Ideen, und sie sollten die Welt länger beherrschen als die dem Bürger tum vorhergehende Ritterkultur. Die Kirche selbst hatte durch ihre Wissenschaft die mittelalterliche Menschheit den ken gelehrt, und sie hatte in ihrer Ethik auch zur Gewis sensentscheidung erzogen. Aber das so Gepflegte stellt sich nun in Denken und sitthchem Wollen auf sich selbst. Das Wissen verweltlicht, das persönhche Gewissen wird bald die eigenste Autorität. Die deutsche Mystik, so sehr sie noch kirchlich und dogmatisch gebunden sein will, und der die Tradition und ein nicht in Denken und Wollen des Men schen selbst gründendes Allgemeines ablehnende Nominalis mus, die gesamte Laienkultur des Bürgertums, der zum an tiken Menschbild sich zurückwendende, in dem verchrist- lichten Platon und Aristoteles den vorchristlichen wieder- fmdende Humanismus, der gleichfalls zunächst noch christ lich sich beeinflussen ließ, sind nur möglich geworden in der geistigen Bewegsamkcit des aufsteigenden, selbstbewuß ten Bürgertums. Die Landeshoheit der Fürsten, die die wirt schaftlichen und sozialen Bindungen der bürgerlichen Zünfte und den Ständegeist überhaupt überwand, hat, was an Geist im Bürgertum regsam war, aufgegriffen. Die weltli chen, unter der Landeshoheit sich entwickelnden Universi täten gaben der humanistischen Idee eine Pflegstätte. Die neue Glaubensbewegung der Reformation, die selbst durch aus noch im christlichen Glauben und in der Bindung des persönhchen Gewissens an ihn verharrte und ihn nur in ihrem Sinne läutern wollte, aber die mittelalterliche kirch liche Universität zu Grabe trug, fand an den Landesfürsten eine Stütze, die sie dieses Werk der Auflösung erst vollzie hen ließ. Auch im Zeitalter des »aufgeklärten« Absolutismus hielt sich das eben »aufgeklärte« Bürgertum nicht nur durch, sondern hier entfalteten sich seine alten geistigen Tenden zen ebensosehr wie seine wirtschaftlichen Bestrebungen.