NEUE ZEIT 305 Gesellschaft existieren Sklaven, Hörige, Leibeigene, dienen der und herrschender Stand, wie es die Darlegung der tho- mistischen Ständelehre zeigte. Der geregelte handwerkliche Kleinbetrieb der Thomas bekannten Stadt weiß noch nichts von dem Großbetrieb, der später das Kleingewerbe durch ungehemmten Konkurrenzkampf unterdrückt, entsprechend dem ökonomischen Prinzip der Rationalisierung und Tech nisierung um der Rentabilität des Kapitals willen. Auch in sozialer Hinsicht sind in der Welt, in der Thomas sich be wegt, die Erfordernisse für eine kapitalistische Wirtschafts führung noch nicht vorhanden: Die freie Markt- und Ver- kchrswirtschaft kennt Thomas noch nicht, er sieht die in sich selbst sich abschließende Stadt mit ihren Zünften und mit den Menschen, die in ihnen gebunden waren und ihr »standesgemäßes« Ein- und Auskommen hatten. Noch viel weniger ist vorhanden die die freie Marktwirtschaft erst ermöglichende Trennung von Produktionsmitteln und Ar beitskraft, die von jenen ihr Einkommen — und nicht ein mehr oder weniger festgelegtes »standesgemäßes« — bezieht, die kaufen muß, was sie erarbeitet. Aber in der Wirklichkeit des Lebens ist der neue Geist zu Thomas’ Zeiten in Italien, in Flandern, in deutschen Städ ten, wie Regensburg, Mainz, Köln, schon rege. Hier leben andere Menschen als die, die Thomas kennt, und ein an deres Ideal, als die thomistische Sozialethik zeichnet. Das ganze antikapitalistische, noch der mittelalterlichen Gewer bestadt abgesehene Sozial- und Wirtschaftsideal der thomi- stischen Theorie steht »mit der Wirklichkeit in den bedeu tenden Handelsstädten in krassem Widerspruch«. Es bestä tigt sich hier, was wir sagen mußten, daß Thomas’ Zeitschau und das ihr entsprechende Gesellschaftssystem Rückschau auf eine schon vergehende Zeit ist. Und es zeigt sich auch auf diesem Gebiete, wie wenig selbst zur Zeit des größten Einflusses der Kirche die Kluft zwischen Idee und Wirklich keit in der mittelalterlichen »Einheit« überbrückt war. Dieser Einbruch des kapitalistischen Geistes in die virtuelle Geschlossenheit des mittelalterlichen Gesellschafts-ordo ist