FÜNFTER TEIL 318 Jahrtausend seines Werdens feststellen muß, »die Zuneigung zum Volksganzen und seiner staatlichen Zusammenfassung« aus den erwähnten Gründen eine geringe war. Bedenkt man weiter, daß auch der Staat der Zunftzeit in seinem erneuten genossenschaftlichen Gliederbau wiederum die persönliche Treue zum Aufbauprinzip hatte, und daß gerade auch jetzt der Gruppenegoismus sich abschloß und seine Eigeninter essen förderte, so ist auch die letzte Phase des mittelalter lichen Staates nicht eine starke und machtvolle gewesen. Man versteht, daß man den Staat des gesamten Mittelalters eben wegen seiner Gründung der Herrschaft in persönliche und ständische Solidarität überhaupt nicht als »Staat« im an tiken oder modernen Sinne dieses Wortes glaubt bezeich nen zu sollen. Ihn vom modernen National- und Machtstaat her zu beurteilen, ist daher verfehlt und sperrt das Verständ nis für seine Eigenart. Die abstrakte Größe » Staat« kennt der mittelalterliche Mensch überhaupt nicht. Wie wir den Kampf der beiden Gewalten viel mehr als einen solchen der Ämter und ihrer konkreten Träger um Recht und Eloheit ihres Amtes denn als Kampf zwischen »Staat« und »Kirche« kennenlernten, wie wir dem »Einzelnen« immer w r ieder als dem in eine konkrete Lebens gemeinschaft gebundenen, seiner Sippe, seinem Stande, sei nem Lehensverband, seiner Zunft eingegliederten, ihr mit verantwortlichen und sie repräsentierenden Menschen be gegneten, so ist auch sein Verhältnis zum Staat kein unmit telbares, sondern ein durch diese Lebensgemeinschaften ver mitteltes und in ihnen erfahrenes. Nach dem »geistigen und sittlichen Verhältnis des einzelnen zum Staate« zu fragen, ist eine »völlig moderne«, dem individuellen Selbstbewußt sein des sich auf sich selbst stellenden Menschen entsprin gende Fragestellung. Der mittelalterliche Mensch mit sei nem Sinn für Pietät, Rangordnung und Autorität kamite nähere und anschaulichere Rechtsbindungen und Herr schaftsansprüche als ein abstraktes Staatsrecht und einen all gemeinen Staat. In den Bindungen seines Alltags, in seinem Grundherrn und dessen Vasallen, trat ihm die verpflichten-