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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1861
- Erscheinungsdatum
- 1861-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186110312
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18611031
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18611031
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1861
- Monat1861-10
- Tag1861-10-31
- Monat1861-10
- Jahr1861
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1861
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5864 Anlagen Und steigern ihre Geschäftstätigkeit, ungeachtet der theuren Preise, welche sie für die Arbeit zu zahlen haben. Der Pauperis mus ist in stetiger Abnahme begriffen und die öffentliche Armen pflege beschränkt sich mehr und mehr auf die Unterstützung arbeits unfähiger Personen. Unter diesen Umständen ist es eine Frage von höchstem Interesse: wie wirkt diese Entfesselung aller gewerblichen Kräfte, diese unein geschränkte Freiheit des Eapitals, der Spekulation, der Unterneh mung und der Arbeit auf die große Masse der Bevölke rung? Ist es wahr, was so viele weise Männer behauptet haben, daß die schrankenlose Entwickelung des Erwerbes, die Beseitigung aller staatlichen Vormundschaft, die ungehinderte Freizügigkeit schließlich -u einer Bereicherung der Wenigen auf Kosten der Vielen, zu einem Helotenthum der unteren Elasten, zur Vermehrung des Proletariats führen müsse und daß die kleine Industrie mit den Segnungen bescheidenen Wohlstandes zu Grunde gehen werde, um einem besitzlosen Proletariat Platz zu machen? Wenn es wahr wäre, so müßte eS in England in den letzten zehn Jahren sich gezeigt haben. Denn wo wäre das Capital mächtiger, wo die Arbeit mehr sich selber überlassen, wo die große Industrie rüstiger entfaltet als in dem England der Jahre 1851 — 1860? Dem Parlamente ist im vorigen Jahre ein umfangreiches Blaubuch vorgelegr, welches unter dem wenig anlockenden Titel „ EseellLneous Ltutistieo ok ttrs Iluitoä Liogäom" eine wahre Mine von Belehrung über die Zustände der Bevölkerung enthält, und unter anderem auch auf die eben aufgeworfene Frage Ant wort ertheilt. Die letztere lautet merkwürdig verschieden von den landesüblichen und auch auf dem Continent verbreiteten Schreckens berichten über das Elend der arbeitenden Bevölkerung Großbri tanniens. Die Notizen über den Erwerb dieser Bevölkerung sind zum Theil so überraschend, daß man anfänglich versucht ist, an Jrrthum oder an Druckfehler zu glauben. Aber bei näherer Prüfung findet man die Tabellen selbst correct und ihren Inhalt in Uebereinstimmung mit Thatsachen, welche aus anderen zuver lässigen Quellen geschöpft werden können. Die Grafschaft Lancaster ist bekanntlich von allen industriellen Provinzen des Reichs die industriellste. Hier hat die Baumwollen spinnerei und die Baumwollenweberei ihre gigantischen Etablisse ments am dichtesten errichtet und das Land weit und breit in einen Ameisenbär» rastloser Geschäftigkeit verwand.lt. Nicht we niger als 400,000 Personen sind in dieser Grafschaft bei der Baumwollenindustrie direct betheiligt. Während der letzten 20 Jahre, also seit dem Beginne der Peel'schen Tarifreformen, ist der Arbeitslohn in den Baumwollenfabriken in Lancashire um 12 bis 28 o/o gestiegen, die Arbeitszeit dagegen um 9 Stunden per Woche beschränkt worden, und die Preise der Lebensbedürfnisse um ungefähr 30 Procent gefallen. Die Zahl der Arbeiter aber hat um 21 Procent zugenommen. Nur der fünfte Theil der letzteren besteht aus erwachsenen Männern, die meisten sind Wei ber, Mädchen und Knaben. Trotzdem ist der durchschnittliche Arbeitslohn 10 8. 3*/, ä. oder ungefähr 4*/, Thalcr Courant wöchentlich. Die Löhne variiren von 3 Thaler (für Kinder) bis zu 11 Thalern (für Arbeiter ersten Ranges) wöchentlich. Eine Arbeiterfamilie, deren Aeltern und Kinder in einer solchen Fabrik beschäftigt sind, oder deren Vater ein sonstiges Gewerbe treibt, hat eine Jahreseinnahme, welche manches Mitglied der sogenannten höheren Stände in Deutschland oder in Frankreich mit Neid erfüllen könnte. 120 — 150 d. h. 800—1000 Thlr. Courant, gehört zu den häufigen Fällen. Wir finden angegeben, daß ein einziges Ehepaar 827 Thaler verdiente. Ein Schmiedc- gesell, dessen sieben Kinder in den Fabriken beschäftigt waren, hatte es dis auf 1527 Thaler, eine Familie von neun Köpfen sogar auf 2167 Thaler gebracht. Solchen Zahlen gegenüber er scheint es kaum als Uebertreibunq, wenn ein englischer Volkswirth- schafter behauptet, die Fabrikarbeiter hätten in England durch schnittlich eine bessere Einnahme als die Mitt.lclass n, eine bessere icdenfalls als Aerzte, Geistliche, Lehrer, in deren Familien nur der Mann erwirbt. Allerdings muß für so hohen Lohn auch redlich gearbeitet werden, allein die Arbeit in den Baumwollfabriken ist keineswegs übertrieben oder erschöpfend. Seit dem Erlaß der s. g. Factorei-Acte dürfen Kinder von 10 bis 14 Jahren und junge Frauenzimmer immer nur eine bestimmte Anzahl von Stun den hinter einander und in keinem Falle länger als zehn Stunden täglich angestrengt werden. Da nun die meisten Arbeiten ohne die Mitwirkung jugendlicher Arbeiter nicht bewerkstelligt werden können, so ist die Folge jenes Gesetzes gewesen, daß auch die Er wachsenen mehr Muße gewonnen haben. Die Sonntage werden ohnehin strenge gefeiert. In der Wollen-Industrie sind die Verhältnisse ähnlich. In Leeds ist der durchschnittliche Wochenlohn 12 ». 6 ä. bis 40 oder 4 Thlr. 5 Sgr. bis 13 Thlr. 10 Sgr. ES versteht sich von selbst, daß mit diesen Sätzen die Lohntaxen anderer Betriebs zweige bi« zu einem gewissen Grade Schritt halten müssen, weil sonst die Arbeitskraft rhnen den Rücken kehren würde. Anderer seits sind die Arbeiterfamilien minder glänzend in solchen Gegenden situirt, wo eS an Gelegenheit fehlt, Frauen und Kinder reichlich verdienen zu lassen. Allein auch diese minderbegünstigten Familien sind gegenwärtig «eit besser daran als in früheren Zetten. Der Wochenlohn der Baugewerke z. B. ist seit 30 Jahren von 27 bis 28 ». auf 32—33 8., also auf etwa 11 Thlr. gestiegen und die in letzter Zeit vorgekommenen Kämpfe der Bauarbeiter gegen )ie Bauunternehmer deuten auf eine Tendenz zu fernerer Erhöhung der Taxe. Im Anfänge dieses Jahrhunderts verdiente ein ge schickter Maurer in London 16 8. oder 5 Thlr. 10 Sgr. wöchent lich, während Weizen auf 90 8., also auf doppelter Höhe seine- jetzigen Durchschnittswerte- stand. Vielleicht ist man geneigt anzunehmen, wir hätten die best bezahlten Industriezweige herausgesucht, um einen vorher festge- stellten Satz zu beweisen. Dies ist keineswegs der Fall. ES giebt allerdings in England viele Arbeiter, die weniger verdienen als gute Maurergesellen, Weber und Spinner, allein dann gehören sie einer tieferen Stufe an und haben wenig mehr als bloße Muskelkraft feilzubieten. Auf der anderen Seite existiren aber auch Arbeitszweige, welche bedeutend einträglicher sind als die er wähnten. Unter ihnen obenan steht die Eisenindustrie. Durch dm enormen Umfang, welchen der Bedarf an Eisenschienen, Ma schinen, eisernen Schiffen rc. in Großbritannien und in der ganzen Welt angenommen hat, ist die Nachfrage nach tüchtigen Arbeitern für diese Cyclopen-Industrie in einem Maße gesteigert worden, daß der Lohnsatz selbst in England alle gewohnten Grenzen weit überflügelt hat. In den großen Schmiede- und Gußfabriken in Nord-England ist der Wochenlohn der gemeinen Arbeiter unterster Stufe 10 Thlr. bis 11 Thlr 20 Sgr.; aber schon diejenigen, welche eine gewisse technische Geschicklichkeit, etwa diejenige eine- gewöhnlichen Schmiedegesellen mitbringen, verdienen 14 Thlr. und darüber. Am höchsten aber werden die sogenannten „Roller" und „Shingler" besoldet. In einer Eisenplattenfabrik erhält ein Roller 362/z Thlr. wöchentlich, und in einer Schienenfabrik steigt dieser Satz auf 49 Thlr., ja einzeln selbst auf 72 Thlr. Knaben ver dienen mit einfachen Handdiensten 2 bis 6 Thlr. wöchentlich. Man sinder dort unter dieser Aristokratie der Arbeiter Familien mit 1300 bis 2000 Thaler Jahreseinnahme, und es giebt sogar solche, welche sich auf 3000 bis 4000 Thaler stehen. Verschwiegen werden darf übrigens nicht, daß die Arbeit in diesen Fabriken nicht Jedermanns Sache ist. Sie erfordert einen ungewöhnlichen Grad von Körperkraft und Ausdauer und ist eine höchst anstren gende selbst für die athletischen Männer, die sich ihr widmen. Überhaupt aber muß man sich stets vergegenwärtigen, daß an alle Arbeit, sie heiße wie sie wolle, in England weit höhere Ansprüche erhoben werden als auf dem Continent, und daß diese höheren Ansprüche auch befriedigt werden. Der Engländer schafft wirk lich mehr als der zerstreute Franzose und der langsame Deutsche; er ist mit seiner ganzen Energie bei seinem Werke, theilS aus Temperament, theils aber und vornehmlich weil er weiß, daß gute und rasche Arbeit besser bezahlt wird als mittelmäßige und langsame. Weil ec mehr schafft, verdient er mehr; weil er mehr verdient, nährt er sich besser und weil er sich besser nährt, kann er wiederum mehr schaffen. Was die materiellen Vorbedingungen für die Hebung der arbeitenden Classen betrifft, so sind diese, dafür reden hundert Thatsachen, durch die völlig freie Entwickelung der britischen In dustrie in einem weit höheren Maße erfüllt worden als jemals erwartet werden konnte. Eine andere Frage ist eS, ob denn nun auch der Erfolg den Vorbedingungen entsprochen, ob die Lage jener Classen im Großen und Ganzen sich in ähnlichem Verhält nisse wie ihre Geldeinnahme gebessert und gehoben hat? Und da ist cs denn eine höchst merkwürdige Erscheinung, daß die- keines wegs der Fall gewesen ist, daß vielmehr eine wirkliche und gründ liche Besserung nur erst sehr rheilweise sich zeigt, daß gerade unter den bestbezahlten Arbeiterklassen noch fortwährend jene Symptome des Massenelendes zu Tage treten, welche in früheren Zeiten Eng land so oft beunruhigt und erschreckt haben. Dieser auffallenden, aber unbestreitbaren Thalsache ist eine fruchtbare Lehre zu ent nehmen, von welcher wir in einem zweiten Artikel sprechen wollen. . (Weser-Atg.) Euterpe. Der diesmalige CycluS der Aufführungen unseres zweiten Con- cert-Instituts ward am 29. Oktober eröffnet. Auch für diese Saison hat Herr von Bronsart die technische Leitung der Euterpe-Concerte übernommen. An der Spitze de- Programm- stand Mozarts unvergänglich schöne O woU-Symphonie. Be züglich der Ausführung dieses Werks ist eS vor Allem zu loben, daß wir dasselbe endlich einmal wieder in entsprechendem, nicht in übereiltem, coquett prickelndem Tempo zu hören bekamen. Da- Orchester that bei dieser Symphonie, wie auch bei seinen anderen beiden Leistungen — die Ouvertüren „Fingalshöhle" von Men delssohn und^zur Oper „der fliegende Holländer" von R. Wag ner — mit Lust und Liebe seine Schuldigkeit, so daß sich mit Bestimmtheit erwarten läßt, es werde sich seine Leistungsfähigkeit — haben sich die einzelnen Kräfte erst noch mehr zusammenge funden — in eben so erfreulicher Weife steigern, wie da- in vo riger Saison der Fall war.
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