Werden und Wachsen. — Begriffs- und Gedankenwelt Freude und Schmerz spiegeln sich wider im Lachen und Weinen. Auch geht der erwachende Geist bald auf Ent deckungsreisen aus. Beobachtend, lauschend, tastend erforscht das Kind seine Umgebung. Mit den Augen prüfend, mit den Händchen greifend, mißt es die Entfernungen, wobei ihm seine Klapper und in gleicher Weise die helle Guckelampe begehrenswert und erreichbar erscheinen. Es bleibt ein un erschöpflicher Quell der Freude für Eltern und Großeltern, das Wachstum eines Kindes still zu beobachten! Wachstum — welch ein tiefes Geheimnis liegt in diesem Worte! Wachs tum — diese stetige Zunahme an Leib und Seele, die kein Mensch erzwingen kann, ist und bleibt eins von den Wun dern des Schöpfers. Große Sorge, wenn ein Kind nicht recht wachsen will! Grund genug zu tiefer Freude und Dankbar keit, wenn ein Kind gesund zur Welt gekommen ist und sich normal entwickelt! Nur sollen wir das Wachstum und die Entwicklung nicht beschleunigen wollen! Hier kann der Mensch nur still zusehen und geduldig warten, nicht helfen! Darf man doch auch die Knospen und Blüten im Frühling nicht mit plumpen Händen berühren! Man muß ihnen Zeit zur Entfaltung lassen. So geht das erste Lebensjahr dahin. Das zweite Lebensjahr bringt einen ungeheuren Fort schritt. Das Kind lernt laufen und sprechen. Es wird selb ständig in des Wortes ursprünglicher Bedeutung: es kann selbst stehen und gehen — nicht ohne dabei manchmal auf die Nase zu fallen —; es wird nichts Wertvolles ohne Opfer errungen. Es spricht in seiner eigenen Sprache, die nicht gleich jedermann ohne weiteres versteht. Mit manchen Wörtern, mit gewissen Buchstaben steht es auf dem Kriegs füße. Statt Zwieback heißt es „Wiekack" und statt Hucke pack „Huppekack". Ins Unendliche lassen sich solche Bei spiele vermehren. Die Entwicklung der Sprache ist ein hoch bedeutsames Kapitel für sich. Die eigene, kleine Person wird mit den merkwürdigsten Namen bezeichnet, die vielfach zu Kosenamen führen, welche den Fremden schlechthin rätsel haft anmuten, und über deren Ursprung späterhin oft die Nächstbeteiligten nicht mehr Auskunft zu geben wissen. Ein großer Augenblick ist es, wenn das Kind, das sich zu nächst stets in dritter Person nennt, eines Tages das kleine Wörtchen „ich" von sich gebraucht, ein Zeichen dafür, daß Begriffs und Gedanken welt.