heißt: früher glaubte man, die Sonne drehe sich um die Erde, tatsächlich ist es umgekehrt — so gilt auch: früher meinte das Kind: „Dies und das ist richtig, weil Vater und Mutter es sagen!" —- späterhin lernt man: „es ist umgekehrt: Vater und Mutter sagen so, weil es so das Richtige ist!” Absicht lich habe ich gesagt: sie müssen es heraus fühlen mit dem Herzen; denn dies ist das erste. Die verstandesmäßig klare Einsicht folgt oft erst viel später. Unerläßliche Voraus setzung ist hierbei, daß die Eltern untereinander einig sind. „O selig Haus, wo Mann und Weib in einer, in deiner Liebe eines Geistes sind!" Aber wehe dem Haus, wo Vater und Mutter nichts wissen von der höheren Instanz eines unge schriebenen Gesetzes, eines göttlichen Willens. Denn dort allein finden wir Erlösung auch von dem Auf und Nieder der eigenen Neigungen, Stimmungen und Überzeugungen, die allerhand Einflüssen ausgesetzt und damit mancherlei Wechsel unterworfen sind. Wo Vater und Mutter einmal verschiedener Meinung sind — und gerade in der Beur teilung der Kinder kommt das immer wieder vor! — die Kinder dürfen es nicht merken! Es muß dann beiderseits höchstes Bestreben sein, möglichst bald wieder eine Einheit zu finden. Aber ja nicht in Gegenwart der Kinder solche Fragen erörtern! Die biblische Geschichte von Jakob und Esau zeigt erschreckend, wohin es führt, wenn diese Einheit fehlt. Ja, Kinder erziehen heißt sich selbst erziehen! Man muß mit diesem Kapitel jede Woche, jeden Tag von vorn anfangen. Nur ein Punkt sei als Beispiel genannt: die unbedingte Wahrhaftigkeit. Auch die sogenannten Notlügen dürfen Kinder an ihren Eltern nicht kennenlernen. Bei der Behand lung des achten Gebotes antwortete mir einst ein zehn jähriger Knabe auf die Frage: „Wer weiß denn, was eine Notlüge ist?": „Notlügen sind solche Lügen, welche große Leute machen dürfen, aber Kinder dürfen es noch nicht." Was für ein Licht wirft diese Antwort auf das Elternhaus! Wie eine drohende Wolke am Himmel, so steht dies „noch nicht” über der Zukunft des Kindes. Wie lange wird es dauern, daß es sich selber für erwachsen genug hält, um sich der Notlüge zu bedienen, vielleicht erstmalig gegen über — seinen Eltern? Entsprechendes ließe sich hier sagen