132 Karl Gustav Feilerer, I. S. Bachs Bearbeitung »sw. jede in der Kirchentonart liegende Hannonische Mehrdeutigkeit zu vermeiden. Dies zeigt sich z. B. im Sopran des 11. Taktes unseres Beispiels. Die Einführung von Akzidentien bezweckt vielfach auch Ver längerung einer bestehenden Harmoniesphäre. Die Querstände und der rasche Wechsel von Dur und Moll — wenn man es so auö- drllcken darf — in der Musik des 16. Jahrhunderts entsprach nicht mehr dein 18. Jahrhundert; daher wurden solche Stellen durch Akzidentien geändert und dadurch harmonisch einheitlich gestaltet. Diese Verwendung der Akzidentien zeigt der Anfang unseres Bei spiels, der im Gegensatz zum Original auch noch im 2. Takt die Dursphäre beibehält. Wie in Deklamation und Instrumentation, so verrät sich auch hier das Streben zu gruppieren und eine dem 16. Jahrhundert fernliegende schematische Ordnung zu erreichen. Konsequent wurden allerdings die einzelnen Mittel hierzu nicht durchgesührt. Bach hat sehr oft die originale Fassung bestehen lassen, auch in Fällen, die er sonst veränderte. Man erkennt daran seine Absicht, nicht um jedem Preis den alten Satz dem Gusto der eignen Zeit zurecht zu machen, sondern sich in den alten Stil hineinzuleben und trotz aller Änderungen ihn aus sich selbst zu erfassen suchen. Bachs Einstellung, die vor allem aus seinen letzten Werken hervorgeht, war in besonderen Maße dazu geschaffen ein stärkeres inneres Verhältnis zur Kunst Palestrinas zu gewinnen als seine Zeitgenossen, obgleich natürlich grundlegende in der Zeit verwurzelte Unterschiede vorlicgen. Jedenfalls nimmt Bachs Bearbeitung von PalcstrinaS klissa sine nomine sowohl im Schaffen Bachs als auch in der Geschichte der Palestrina Nachahmung eine Sonderstellung ein, die in seiner künstlerischen Persönlichkeit begründet liegt.