Johann Sebastian Bach und das literarische Leipzig der Aufklärung Von Hans Joachim Kreutzer (Regensburg) O Die Musik Johann Sebastian Bachs ist, vergleicht man sie mit dem CEuvre anderer Komponisten, in außergewöhnlich hohem Ausmaß von Sprache be stimmt. Das gilt nicht nur für Bachs textierte Kompositionen, sondern selbst verständlich auch für seine Choralbearbeitungen für Orgel. Ja, darüber hinaus ist sogar erwogen worden, daß Spielregeln sprachlicher Logik, wie sie in der Rhetorik gelehrt wurden, auch für reine Instrumentalwerke Bachs, namentlich für das Musikalische Opfer, strukturbestimmend sein könnten. Auch wenn diese Hypothese letztlich nicht zu sichern ist, sie veranschaulicht immerhin den Allgemeinheitsgrad der in diesem Jahrhundert wirkungsgeschichtlich festge legten Auffassung von der besonderen Bedeutung der Sprache für musika lische Strukturen bei Bach. 1 Daß jedenfalls der bildhafte Ausdruck, dessen fundamentale Bedeutung für die Themenbildung Bachs Albert Schweitzer entdeckt hat, auch unabhängig von möglichen detaillierteren Analogien zwi schen rhetorischen und musikalischen Strukturen eindeutig sprachbestimmt ist, liegt außer jedem Zweifel. Gleichwohl, die Nachwirkung Bachs scheint weitgehend auf seiner Musik allein zu beruhen. Die Texte, die Bach vertont hat, sind demgegenüber ge schichtlich stark verblaßt. Sie wirkten von jeher, nicht nur auf uns heute, ungleich altertümlicher als die Kompositionen. Heute sind sie auch für den literarhistorischen Fachmann auf weite Strecken kommentierungsbedürftig. Für das relativ früh einsetzende wirkungsgeschichtliche Versinken der Texte Bachs gibt es, in aller Kürze gesagt, drei verschiedene Gründe, i. Einschnei- 1 Nach dem Vorgang Warren Kirkendales (Ciceronians versus A.ristotelians on tbe Ricercar as Exordf///7/,fro/n Bembo to Bacb, JAMS 32, 1979, S. 1-44) hat Ursula Kirkendale im folgenden Jahr in der gleichen Zeitschrift das Musikalische Opfer als eine bewußte Anwendung be stimmter Partien der Institutio oratoria Quintilians interpretiert (Tbesourcefor Bacb's,Musical Offering 1 , Tbe ,lnstitntio oratoria‘ of Ouintilian, JAMS 33, 1980, S. 88-141) und diese Auf fassung später andernorts weiter präzisiert. - In sich selber schlüssig ist diese Auffassung nur unter der Voraussetzung einer ganz bestimmten Anordnung der Überlieferung, die aber ihrerseits - bei gegenwärtigem Kenntnisstand - nicht abschließend zu sichern ist. Eine direkte Übertragung der Interpretation auf die Edition, die Ursula Kirkendale gefordert hat, ergäbe eine Petitio principii: eine allenfalls denkbare Folgerung würde zur Voraus setzung erhoben. Ohne philologische Absicherung gelangt man bei diesem Interpretations ansatz aus dem Stande der Hypothese nicht hinaus. Ganz allgemein würde man sich in der Frage, wie es um Bachs Kenntnis und Anwendung der Rhetorik stand, zusätzliche Beweisstücke von anderer Ebene wünschen. Die vorhan denen und durchaus glaubwürdigen Aussagen sind leider inhaltlich unbestimmt. Natürlich enthält die Rhetorik nicht nur die Lehre vom Aufbau der Redeteile; diese war in Deutsch land auch noch im 19. Jahrhundert Allgemeinbestand eines guten Gymnasialunterrichts, beispielsweise in der sogenannten Chrienlehre.