Bachs Eingriffe in Werke fremder Komponisten : Beobachtungen an den Notenhandschriften aus seiner Bibliothek unter besonderer Berücksichtigung der lateinischen Kirchenmusik
Bachs Eingriffe in Werke fremder Komponisten Beobachtungen an den Notenhandschriften aus seiner Bibliothek unter besonderer Berücksichtigung der lateinischen Kirchenmusik Von Kirsten Beißwenger (Göttingen) Die intensive Beschäftigung mit den fremden Werken aus Bachs Notenbiblio thek hat in der Forschung noch keine allzu lange Geschichte. Nachdem Wilhelm Rust den ersten größeren Katalog von fremden Werken aus Bachs Bibliothek vorgelegt 1 und Philipp Spitta eine Auswahl des Repertoires in seiner Bach-Mono graphie behandelt hatte, wurden die Werke in den folgenden Jahrzehnten nur wenig beachtet. Vereinzelt steht Karl Gustav Fellerers Untersuchung zu Bachs Bearbeitung der „Missa sine nomine“ von Giovanni Pierluigi da Palestrina. 2 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sind die fremden Kompositionen stärker ins Blickfeld der Forschung gerückt: es erschienen Beiträge zu einzelnen Werken oder Werkgruppen aus der Notenbibliothek, etwa zum „Acroama Missale“ von Giovanni Battista Bassani, 3 zu Bachs Bearbeitung des „Stabat Mater“ von Giovanni Battista Pergolesi 4 oder zu den Kantaten Johann Ludwig Bachs. 5 Die lateinische Kirchenmusik ist in Christoph Wolffs 1968 erschienener Disser tation „Der Stile antico in der Musik Johann Sebastian Bachs“ 6 katalogmäßig erfaßt; hier ist ferner ein Grundstein zur analytischen Auswertung der frem den Werke gelegt. Die von Bach aufgeführten Passionsmusiken sind von An dreas Glöckner untersucht und in einem Aufführungskalender zusammenge faßt worden. 7 Fast alle genannten Beiträge behandeln zwar die Frage nach Bachs Umgang mit den fremden Werken, gleichwohl ist sie noch nicht metho disch erschöpfend angegangen worden. Im folgenden soll der Versuch unter nommen werden, die Methoden zu erweitern, mit denen sich Bachs Eingriffe in fremde Notentexte erkennen lassen. Es ist bekannt, daß Bach in viele Kompositionen bearbeitend eingegriffen hat. Seine Eingriffe lassen sich in sechs Kategorien unterscheiden. Die vorgenom mene Kategorisierung richtet sich danach, inwieweit sich Bach vom vorgege benen Notentext entfernt hat. 1 BG XI/1, Vorwort, S. XIVf. 2 J. S. Bachs Bearbeitung der Alissa sine nomine von Palestrina, BJ 1927, S. 123- 152. 3 G. von Dadelsen, Eine unbekannte Messenbearbeitung Johann Sebastian Bachs, in: Fs. Karl Gu stav Feilerer zum 60. Geburtstag. Regensburg 1962, S. 88-94; Wiederabdruck in: G. von Dadelsen, Über Bach und anderes. Aufsätze und Vorträge 1951-1982, Laaber 1983, S. 68-74. 4 E. Platen, Eine Pergolesi-Bearbeitung Bachs, BJ 1961, S. 35-51; A. Dürr, Neues über Bachs Pergolesi-Bearbeitung, BJ 1968, S. 89-100. 5 W. H. Scheide, Johann Sebastian Bachs Sammlung von Kantaten seines Vetters Johann Ludwig Bach, BJ 1959, S. 52-94, Teil II, BJ 1961, S. 5-24, Teil III, BJ 1962, S. 5-32; K. Küster, Die Frankfurter und Leipziger Überlieferung der Kantaten Johann Ludwig Bachs, BJ 1989, S. 65 bis 106. 6 Studien %u Bachs Spätwerk, Wiesbaden 1968 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft. 6.; im folgenden: Wolff StA). 7 Johann Sebastian Bachs Aufführungen zeitgenössischer Passionsmusiken, BJ 1977, S. 75-119.