Komponierte J. S. Bach ..Hammcrklavier-Konzerte“? Von Eva Badura-Skoda (Wien) Zuweilen möchte man einen als richtig befundenen Gedanken - konsequent durchgedacht - auch dann verfolgen und veröffentlichen, wenn er konträr zur herrschenden und durch Tradition geheiligten Meinung steht. Im vorliegenden Fall geht es hauptsächlich darum, ein jahrhundertealtes Miß verstehen des Begriffes „Cembalo“ zu beseitigen. Bisher waren fast alle For scher und Musiker, die sich mit Bach beschäftigten, fest davon überzeugt, daß Johann Sebastian Bach alle seine Cembalowerke für das Instrument schrieb, das wir heute „Cembalo“ nennen, und nicht für ein „Cembalo che fa il piano e il forte“, wie es Cristofori um 1698 (und nicht erst 1709) erfand und Gottfried Silbermann nachweislich spätestens 1732 nachbaute. Sicherlich war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Kielflügel das wichtigste Tasteninstrument außer der Orgel. An dieser herrschenden Mei nung soll gar nicht gerüttelt werden. Nur: Jüngste Forschungen zur Ge schichte des Hammerklaviers haben einige alte Vorstellungen als irrig ent larvt und - fast noch wichtiger - neue Erkenntnisse zur Instrumenten-Termi- nologie 1 vermittelt. Sie führen zwangsläufig zu folgenden Ergebnissen. In Italien wurde der Hammerflügel das ganze 18. Jahrhundert hindurch „Cem balo“ genannt. Erst ab etwa 1770 finden sich spärliche Ausnahmen: Äußerst selten tauchen in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts Dokumente auf, in denen von einem „Pianoforte“ oder Fortepiano“ die Rede ist. Das führte deutsche und englische Instrumentenkundler zu dem Trugschluß, in Italien wäre das Hammerklavier bald nach seiner Erfindung nicht mehr beachtet und gebaut worden, Cristoforis Erfindung dort also praktisch unbekannt geblie ben - eine Ansicht, die falsch ist, wie wir heute wissen. 2 Das mit einer Hammermechanik versehene Cembalo wurde allerdings oft durch Zusatzworte als ein besonderes Cembalo gekennzeichnet; man sprach vom „Cembalo con martellini“ (Cembalo mit Hämmerchen) oder vom „Cem balo straordinario“, dem außergewöhnlichen Cembalo, „che fa il piano e il forte“ - das laut und leise gespielt werden konnte. Folgende Bezeichnungen für Hammerflügel des 18. Jahrhunderts fanden sich in Italien, deren sich von Cristofori über Maffei und Giustini bis zu Farinelii, Sacchini und Sarti meines Wissens alle Instrumentenbauer, Chronisten und Komponisten bedienten: 1 Vgl.E.Badura-Skoda, ZurFriibgescbirbte des Hammerklaviers, in: Florilegium Musicologicum. Fs. für Hellmut Federhofer zum 7 5. Geburtstag, Tutzing 1988; dies., Prolegomena to a History of tbe Viennese Portepiano, in: Israel Studies in Musicology, Vol. II, Jerusalem 1980, S. 8zff.; dies., Donienico Scar/atti und das Hammerklavier, in: Österreichische Musikzeitschrift 40, 1985, S. 5 24tf. * Während des XIV. Kongresses der International Society of Musicology (Bologna 1987) befaßte sich eine „Study Session“ nicht nur allgemein mit Fragen zur Frühgeschichte des Hammerflügels, sondern auch mit dessen Verbreitung in Südeuropa. Vgl. Beryl Kenyon de Pascual, Tbe Piano in Spainpr/or to 175o (Kongreßbericht, im Druck).