Kleine Beiträge Bach als Mitarbeiter am „Walther-Lexikon“? Als Spitta das Verhältnis zwischen Bach und dessen entferntem Vetter, dem Weimarer Stadtorganisten Johann Gottfried Walther, zu beschreiben hatte, gelangte er zu der Feststellung, dieses müsse sich nach Bachs Weggang aus Weimar abgekühlt haben; anders wußte er sich die Kürze des Bach-Artikels in Walthers „Musicalischem Lexicon“ (1732) nicht zu erklären. Erst Reinhold Jauernig hat daraufhingewiesen, daß diese Kürze mit Eingriffen der Weimarer Zensur erklärbar sei, die in diesem Fall eine ausführlichere Darstellung des 1717 in Ungnaden Entlassenen nicht toleriert hätte. Außerdem wies Jauernig gerade für die 1730er Jahre gute Kontakte zwischen Bach und Walther nach. 1 Damit war allerdings nur Spittas Äußerung revidiert, ohne daß die jüngeren Ergebnisse der Walther-Forschung 2 einbezogen waren. Die Frage, die sich daher stellt, lautet: Gibt es Anzeichen dafür, daß Walther auch seinen „Vetter“ um Mithilfe bei der Vorbereitung des Lexikons gebeten hat und dieser der Bitte nachkam? Walthers Artikel über Bach selbst, der hierzu bislang als einzige Argumenta tionsgrundlage gilt, sei hier nur am Rande betrachtet, dennoch aber folgendes bemerkt: Wie das Beispiel Heinrich Bokemeyers zeigt, waren Walther aus führliche Autobiographien willkommen, die er auf einen angemessenen Umfang kürzte. Den Text, den Bokemeyer ihm schickte, bezeichnete er als „weitlaüfftigen, und merckwürdigen 50jährigen Lebens-Lauff“, aus dem nur ein „Extract“ in das Lexikon übernommen wurde. 3 Insofern scheint die Aus führlichkeit eines Artikels weniger die Beziehung zwischen Walther und dem Dargestellten zu dokumentieren als die „Weitlaüfftigkeit“, mit der dieser über seinen „Lebens-Lauff“ zu berichten bereit war. Bach scheint in dieser Hinsicht aber alles andere als mitteilsam gewesen zu sein. Das, was die Kürze des Bach- Artikels ausmacht, ist das Fehlen jeglichen anekdotischen Materials; entspre chend verzichtete Bach auch in seiner Korrespondenz mit dem Jugendfreund Georg Erdmann auf Anekdotisches. 4 Spitta moniert, daß Walther „von jenem so viel besprochenen und für alle deutschen Musiker so ehrenvollen Wettstreite zwischen Bach und Marchand im Jahre 1717“ nicht berichtete; doch gerade mit Äußerungen hierüber soll Bach äußerst zurückhaltend gewesen sein. 5 Eine derartige Zurückhaltung zeigte Bokemeyer aber nicht, weshalb noch der ge- 1 Spitta I, S. 388; R. Jauernig, Johann Sebastian Bacb in Weimar, in: Johann Sebastian Bach in Thüringen, Weimar 1950, S. 49-105, hier S. 8of. Lexikon-Artikel Johann Gottfried Walthers werden im folgenden ohne Einzelnachweis zitiert nach: J. G. Walther, Musicaliscbes LEX I- CON oder Musicaliscbe Bibliotbec . . ., Leipzig 1732, Faks.-Nachdruck, hrsg. von R. Schaal, Kassel 1953, 4. Aufl. 1986 (Documenta musicologica, Erste Reihe: Druckschriften-Faksi- miles. 3.). 2 Vgl. besonders BJ 1935, S. 86-118 (G. Schünemann). 3 J. G. Walther, Briefe, hrsg. von K. Beckmann und H.-J. Schulze, Leipzig 1987 (zit.: Walther, Briefe), S. 52 (4. 4. 1729) und 80 (3. 10. 1729). 4 Dok I/23; vgl. BJ 1985, S. 85 (G. Pantijelew). 5 Spittal, S. 388; J. N. Forkel, Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke, Leipzig 1802, S. 45.