Giuseppe Torelli und Johann Sebastian Bach Zu Bachs Weimarer Konzertform Von Jean-Claude Zehnder (Basel) Johann Sebastian Bachs schöpferischer Auseinandersetzung mit der italieni schen Instrumentalmusik, insbesondere dem Konzert, kommt in seiner Stil entwicklung ein außergewöhnlicher Stellenwert zu. Die Bach-Forschung hat sich bisher hauptsächlich auf die „Frage Bach -Vivaldi" konzentriert; 1 zweifel los gebührt dieser stilistischen Beeinflussung, was den Umfang des Repertoires und die anhaltende Wirkung betrifft, der erste Platz. Gerade der Beginn von Bachs Concerto-Rezeption um 1713/14 liegt aber noch weitgehend im dunkeln; die vorliegende Studie versucht, diesen Ansatzpunkt zu einer Charakteristik der Ritornellform in Bachs Weimarer Zeit näher zu beleuchten. Wenn hier der Name Giuseppe Torellis ins Spiel gebracht wird, so geschieht das in erster Linie aufgrund von vergleichenden analytischen Beobachtungen. Ausgangs punkt dieser Arbeit ist eine zuerst beschreibende, dann die strukturellen Zu sammenhänge befragende Werkbetrachtung. Ich möchte - mit den Worten Werner Breigs zu sprechen - „die Fragen der künstlerischen Entwicklung Bachs ... so gewichtig sehen, daß sie zu intensiven analytischen Bemühungen herausfordern“. 2 Seit der überzeugenden Darstellung Hans-Joachim Schulzes 3 kann das Be kanntwerden Bachs mit den Konzerten Antonio Vivaldis mit hoher Wahr scheinlichkeit auf Juli 1713 datiert werden. Am 8. Juli kam Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar von seiner Bildungsreise aus den Niederlanden zurück und brachte neue Musikalien nach Weimar, darunter befand sich wohl „Vival dis op. 3 im kürzlich (1711) erschienenen Roger-Druck“. 4 Bachs Beschäftigung mit dem Concerto „nach italiänischem Gusto“ hat aber zweifellos schon einige Jahre früher begonnen. Mindestens zwei Belege lassen sich dafür nennen. Zum Konzert e-Moll op. 2/2 von Tomaso Albinoni (Erstdruck Venedig 1700) hat Bach eine (fragmentarisch erhaltene) Continuo-Stimme geschrieben; die Iden- Abkürzungen: Ep Episode Rit Ritornell Kad Kadenz Ü1 Überleitung Qfs Quintfallsequenz 1. H. linke Hand Qschr Quintschritt r. H. rechte Hand 1 So der Titel des Aufsatzes von R. Eller im Bericht über den Internationalen Musikwissenschaft lichen Kongreß Hamburg 1956, Kassel etc. 1957, S. 80-85. 2 W. Breig, Probleme der Analyse in Bachs lnstrumen!alkon~erten, in: Bach-Symposium Marburg 1978, S. 127-136 (das Zitat auf S. 136). 3 Schulze Bach-Überlieferung, Kapitel V „Entstehung und Überlieferung der Konzerttran skriptionen für Orgel und Cembalo“, S. 146-173, dazu auch die dort in Fußnote 566 genannte Literatur. 1 Schulze Bach-Überlieferung, S. 159. 3 6271