Giuseppe Torelli und Johann Sebastian Bach 41 harmonische Bewegung, jedoch keine Modulation (auf die ,,hasse fundamen tale“ reduziert handelt es sich um eine „vollständige Quintfallsequenz“, die mit einer auftaktigen I. Stufe beginnt und mit betonter I. Stufe endigt). Die Sech zehntelfiguration mit ihrem in den Akkord eingebetteten Abwärtsschritt (als Intervalle kommen Terz, Quart, Quint und Sext vor) verbindet die Elemente B und C. Eine halbtaktige Kadenz (,,Kad“), die entweder an B oder an C an schließt, ist melodisch je individuell gestaltet. Für die Motivik der beiden Gruppen B und C lassen sich in den frühen Werken Bachs mehrere Parallelen aufzeigen. Das Wiederholungsspiel der Gruppe B erinnert an Vorbilder bei Georg Böhm; die Beobachtung ist deshalb besonders stringent, weil sich das Motiv an die im B J 1988 S. 90 und 107 gegebenen Beispiele aus Böhms g-Moll-Präludium (T. 29f.) und aus dem Ein gangschor der Kantate BWV 7 1 (T. 8f.) anschließt. Es handelt sich um ein Modell „um einen liegenden Ton“ (BJ 1988, S. 91); die ruhende Wirkung der Gruppe B wird durch diese Be obachtung bestätigt. Die Sequenz der Gruppe C entspricht mitsamt ihrer Motivik und ihrer Dissonanzverkettung traditionellen Vorbildern bei Pachelbel, Buxtehude und anderen. Das gleiche Muster be herrscht die Sequenz im Thema der Orgelfuge D-Dur BWV 532/2; als Vorbild dafür wird gern Pachelbels Fuge in der gleichen Tonart genannt (BWV, S. 413); aber auch in den Can- zonen von Buxtehude ließen sich Vorbilder nennen (BuxWV 172 und 173). Natürlich kompo niert Bach auch später ähnliche fallende Sequenzen, doch dürfte die Übernahme mitsamt der typischen, einfachen Figürlichkeit ein Zeichen relativ früher Entstehung sein; so finde ich etwa im Wohltemperierten Clavier I diese simple Sequenzform nicht. Die Abfolge der Motive B, C und Kad in den vier Episoden ist aus Figur I ablesbar. Keine Episode ist einer anderen gleich, doch beginnt jede mit der Gruppe B in der Tonart des vorangegangenen Ritornells. Die Episoden II und III sind durch eine Kadenz untergliedert; ihre Darstellung in Figur I ist deshalb auf zwei Zeilen verteilt. Die Episode I ist die kürzeste: nach der Gruppe B in G-Dur wird Kad so ange schlossen, daß sie nach D-Dur führt. Diese Modulation ist als Ausnahme zu betrachten; im weiteren Verlauf des Werks bleibt Kad in der vorangehenden Tonart. 38 In der Episode II wird nun zwischen B und Kadenz das Sequenzglied C eingefügt. Die Folge B -f-C + Kad entspricht dem Dreischritt Vordersatz-f- Fortspinnung -|- Epilog; der „Fortspinnungstypus“ ist deutlich ausgeprägt. 39 Auffallend ist auch die strukturelle Ähnlichkeit zum Ritornell: zuerst mehrere Halbtakt-Elemente in stabiler Position, dann harmonische Bewegung zum Kadenz-Abschluß hin. Ein struktureller Kontrast (etwa: „thematische Ge schlossenheit im Ritornell“ gegen „unverbindliches Figurenwerk in der Epi sode“) ist in dieser Toccata jedenfalls nicht beabsichtigt. Die Episode II läßt B -j-C + Kad zweimal erklingen: zuerst, wie erwartet, in D-Dur, dann um eine Quinte tiefer „gerückt“ nochmals in G-Dur. Außergewöhnlich ist die Rück wendung zur Tonika; die Episoden I und II stehen somit im „Verhältnis der I Beantwortung“ (T->D / D->T), und die vier ersten Abschnitte schließen iE 38 So auch die Analyse von Klein, a.a.O., S. }7. 39 Zum Begriff „Fortspinnungstypus“, der auf Wilhelm Fischer {Zur Entwicklungsgeschichte des Wiener klassischen Stils, in: Studien zur Musikwissenschaft III, 1915, S. 29) zurückgeht, siehe Dürr St 2, S. 121, und W. Breig, Bach-Symposium Marburg 1978, S. 129.