BESPRECHUNGEN /I Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperirte Clavier II. Facsimile of the auto- graph rnanuscript in the British Library Add. MS 3502/, with an introduc- tion by Don Franklin and Stephen Daw, London 1980 (British Library Music Facsimiles I). In England kennt man das sogenannte „coffee-tablc book“, ein eher als Schau stück denn für den Bücherschrank gedachtes bibliophiles Kuriosum. Die Faksi mileausgabe des II. Wohltemperierten Klaviers gerät notgedrungen in diese Sonderkategorie, und zwar weniger der ausgezeichneten Papier-, Druck- und Reproduktionsqualität als vielmehr des geradezu monströsen Formates wegen. Ein Band mit den Außenmaßen 40 X 57 cm ist denn auch alles andere als handlich und schon gar nicht fürs Notenpult geeignet. Zwar sollte ein Faksi mile gewiß nicht mit der üblichen Musikalie konkurrieren müssen. Nichtsdesto weniger sollte es eine anschauliche Vorstellung von der ursprünglichen Funk tion der Handschrift vermitteln können. Hier freilich muß die Kritik einsetzen: So willkommen es ist, dieses bedeutendste in England lagernde Bach-Auto graph in einer unverkleinerten und drucktechnisch mustergültigen Faksimile ausgabe verfügbar zu haben, so unsinnig scheint es, die Quelle in ihrem heuti gen buchbinderischen Zustand zu reproduzieren. Muß schon das Original heute - aus welchen Gründen auch immer - seinen ursprünglichen Zustand ver leugnen, um so tunlicher wäre es für die Bibliothek gewesen, diesen in einer Reproduktion (zumal in einer hauseigenen Reihe) wenigstens annähernd wie derherzustellen. Das Originalmanuskript, ein aus dem Nachlaß Muzio Clementis stammendes Teilautograph und die zweifellos wichtigste Quelle des Werkes, bestand im Unterschied zu dem von Bach in Buchform gehaltenen Autograph des I. Wohl temperierten Klaviers ursprünglich aus einer Mappe von losen Blättern, so genannten Auflagebögen, in dem damals handelsüblichen und handlichen For mat von etwa 32X21 cm. Wohl ist jene Mappe nicht mehr erhalten, doch läßt sich erkennen, daß die seinerzeit inliegenden und heute im aufgeschlagenen Zustand gebundenen Einzelbögen in der Mitte gefalzt waren und auf den Innenseiten jeweils ein Präludium, auf den Außenseiten die zugehörige Fuge enthielten. Hätte man diesen Originalzustand für Faksimilezwecke rekonstru iert, etwa in Form einer Laschenmappe, so würde dem aufmerksamen Betrachter eine wichtige Einzelheit kaum entgehen können, daß nämlich die Auflagc- bögen in zwei verschiedene Gruppen mit der jeweiligen Titelfassung „Praelu- dium“ beziehungsweise „Prelude“ zerfallen. Das instruktive Vorwort der kenntnisreichen Herausgeber stellt alle notwendigen Daten bereit, um die Scheidung der beiden Quellengruppen untermauern zu können. Nur die eigent liche Konsequenz dieses Quellenbefundes, daß nämlich einst zwei wahrschein lich vollständige Originalmanuskripte nebeneinander bestanden haben müßten,