56 Hermann Keller dient, hat eine fast stereotype Tonartenfolge: Das Hauptthema durchläuft, von Zwischensätzen, die vermitteln, unterbrochen, den Tonartenkreis T—D— S—T oder statt D und S über eine andere nahe verwandte Tonart. Auch die Fugen, über deren Modulationsplan schon so viel geschrieben worden ist, haben eigentlich nur das gemeinsam, daß sie aus der Tonika in die Oberdominante oder (in Moll) häufig die Tonikaparallele hinaus und über die Unterdominante oder ihre Parallele zurück in die Hauptton art geführt werden. Auch hier stellt die Harmonie das passive, beharrende Element dar, das den handelnden Stimmen lediglich als Folie dient. Immer aber macht die Tonartenfolge den Eindruck einer zwingenden Logik; nur einigen Jugendwerken sieht man ihre frühe Entstehung auch daran an, daß eine Fuge zeitweilig in die zweite Unterdominante moduliert wie in der jpmoll-Toccata für Klavier, oder in die zweite Oberdominante, wie die erste Fuge der yfr-moll-Toccata; die schon erwähnte Jugendfuge für Orgel in a-moll (Pet. III, 9) verirrt sich einmal sogar nach r-moll! Diese Aus weichungen sind vielleicht ungeschickt, aber doch logisch; in allen mir be kannten Werken Bachs habe ich nur einen Fall gefunden, dessen Logik mir trotz aller Bemühung nicht einleuchten will: Im Präludium einer Lau tensuite in .Er-dur (BG XLV, S. 142) heißen die drei Takte vor der Fermate so: Beispiel 4: Man erwartet nach dem öt-moll-Dreiklang aber nicht den Sekundakkord es—f—a—c, sondern as—b—d—f\ Dieser gewaltsame Ruck nach der zweiten Dominante kann allein schon die Echtheit dieses Stücks als fraglich er scheinen lassen. Auch die kurz vor dem Schluß die Bewegung abbrechenden Fermaten wie die soeben gezeigte sind für Bach charakteristisch. Man kann sie als eine Vergeistigung der dem Sänger kurz vor dem Schluß einer Arie gestatteten Kadenz auffassen. Während aber die Kadenz des Sängers (und später des Instrumentalisten in den Konzerten der Wiener Klassik) auf dem Quart sextakkord stehen und in den Dominantseptakkord einmünden, bevorzugt Bach das geistreichere Verfahren, kurz vor Schluß die Bewegung auf einem dissonanten Akkord zu stauen, ehe sie nach einer Spannungspause in die Schlußkadenz abfließt. Am häufigsten verwendet Bach dabei den Sekund akkord der Dominante, mit seinem Zwang der Fortschreitung im Baß, so in der ö-moll-Fuge W. Kl. I, in den Präludien Eir-dur, Mr-dur und B-dur