Bach in der deutschen Dichtung 7 Es ist allgemein bekannt 8 , wie wenig im Grunde selbst Leipzig zu Lebzeiten von diesem großen Musiker Notiz genommen hat, wie dessen Werke mehr und mehr in Vergessenheit geraten sind, ja, daß der Ruhm, den er aus strahlte, sich vorwiegend auf seine Meisterschaft als Organist und Klavier spieler bezog. Ein vom Gelegenheitsdichter Kittel - auch Micrander genannt - im Jahre 1731 verfaßtes Gedicht macht dies augenscheinlich: Ein angenehmer Bach kan zwar das Ohr ergötzen, Wenn er in Sträuchern hin, durch hohe Felsen läufft; Allein, den Bach muß man gewiß weit höher schätzen, Der mit so hurtger Hand gantz wunder bahr lieh greifft. Man sagt: Daß, wenn Orpheus die Laute sonst geschlagen, Hab alle Thiere er in Wäldern zu sich bracht; Gewiß, man muß diß mehr von unserm Bache sagen, Weil Er, so bald er spielt, ja alles staunend macht. 9 Ähnliche Lobeshymnen, wie etwa Telemanns Sonnet auf weyland Herrn Capellmeister Bach 10 oder Dr. Georg Wenzkys Trauer-Ode der musicalischen Societät %u Leipzig 11 , deren Mitglied Bach seit 1747 war, lassen sich verein zelt nachweisen. J ohann Gottfried Walther preist in einem Vierzeiler 12 seinen Vetter und Freund Sebastian - „. . . und flehen um Dein Leben, denn selten wird der Welt ein solch Geschenk gegeben“. Der Hamburger Jurist Dr. Ludwig Friedrich Hude mann veröffentlicht ein Huldigungs gedicht 13 , und Justus Friedrich Wilhelm Zachariä nennt im 4. Buch seines ein wenig weitschweifigen Gedichtes in Hexametern bekannte deut sche Musiker: . . . Welche Namen sind Bach, und seine melodischen Söhne, Die der sonst lahmen Hand zum Klaviere mehr Finger gegeben. 14 Trotz aller Schwächen, die den frühesten Zeugnissen Bachs in der Dichtung eigen sind - Micranders und Wenzkys Verse künden zugleich vom Tief stand der deutschen Poesie -, ist doch die verehrende Hingabe zu spüren, mit der man des großen Meisters - zumindest als Virtuosen des Cembalos und der Orgel - gedenkt und die Erinnerung an ihn wachzuhalten sich bemüht. Bis zu jenem Berliner Ereignis von 1829 blieb die Matthäuspassion fast 80 Jahre unaufgeführt und erst 1850 - also hundert Jahre nach dem Tode unseres Meisters - kam es zur Gründung der Bachgesellschaft, deren füh rende Köpfe mit großer Begeisterung endlich an die Herausgabe einer voll- 8 Vgl. u. a. F. Blume, Johann Sebastian hach im Wandel der Geschichte. Kassel 1947. 9 C. H. Bitter, Johann Sebastian Bach. 2. Aull. Berlin 1881, Bd. 2, S. 158. 10 Ebenda, Bd. 3, S. 256. 11 BJ 1920, S. 26—29. 12 BJ 1933, S. 109. 13 Proben einiger Gedichte und Poetischen Übersetzungen. Hamburg 1732, S. 221. 14 Die Tageszeiten. Rostock und Leipzig 1756.