Zum periodischen Prinzip bei Johann Sebastian Bach I 2 I Verbindung wenigstens zweier musikalischer Gestalten und die Ausfor mung ihrer heterogenen Faktoren. In diesen ist aber das Moment der Ver zahnung stets immanent enthalten 8 . Auch der schärfste Kontrast bedarf, um musikalisch sinnvoll zu sein, verbindender, gemeinsamer, überbrückender, verzahnender Faktoren. Das bedeutet im Blick auf Bachs Musik, die barock gebunden solche scharfen Gegensätze innerhalb eines Satzes ohnehin noch kaum kennt, daß die rhythmisch-metrische Einheit ganzer Sätze dadurch verdeutlicht und intensiviert wird, daß die Dauer-Werte ihrer Formteile als Dauer-Werte, also zeitlich, miteinander korrespondieren. Daß eine solche Bezugnahme durch Proportionen und Symmetrien tatsächlich organisch aus der Bachschen Musiksprache hervorgeht, ist etwa daran abzulesen, wie zu fällig und wie wenig aussagehaltig uns entsprechende Ergebnisse beispiels weise bei Beethoven erscheinen würden 9 . Die Verzahnung zwischen den Satzteilen, die mangels tiefgreifender Kontraste bei Bach voll wirksam ist, erfährt also durch Symmetrien und Proportionalität in ihrer formal binden den Funktion eine stilistisch fundierte Bekräftigung. Unter Periodik sei in diesem Zusammenhang folgendes verstanden: die Taktgruppen, die sich bei den vorgenommenen Analysen als formal inte grierende Bestandteile herausstellten, wurzeln im periodischen Prinzip. Das gilt, wenn wir es auch in zweierlei Hinsicht einschränken müssen. Das periodische Prinzip gelangt im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts bei den Musikern der Bach-Söhne-Generation zum endgültigen Durchbruch 10 . Es ist also bei Bach selbst noch im Werden, d. h. es macht sich allenthalben be merkbar, hat sich aber noch nicht durchgesetzt. Dann: die Gruppierungen, die wir in den Analysen vornehmen, weisen teilweise sehr hohe Taktzahlen auf, - zu hoch, um sie unmittelbar im periodischen Sinne auffassen zu können. Wir glauben aber, daß sich die Periodik nicht in der Weise ent wickelte, daß aus den paarigen Taktentsprechungen über die größeren 8-, 16- oder 32taktigen Einheiten endlich das Gefühl für periodisch geordnete Formalstrukturen entstand, sondern im Gegenteil, daß aus dem Bewußt werden des musikalischen Ablaufes als geformter Zeit, als Zeit-Form das periodische Prinzip hervorging. Die Periodik ist also im 18. Jahrhundert mehr Ergebnis als Ursache, - Ergebnis einer Tendenz nach Überschaubar keit, Gliederung, Ordnung und Ausgewogenheit. Mit unseren Analyse- Resultaten soll also keineswegs ein Beleg für die Herrschaft des periodi schen Prinzips bei Bach erbracht werden, sondern ein Beleg für die Bedeu- 8 Am sinnfälligsten wird das Gemeinte bei Beethoven als dem wohl größten Dialektiker der Musik in dessen Prinzip der „kontrastierenden Ableitung“ (A. Schmitz). 9 Vgl. Hans Meyer, Linie und Form. Bach—Beethoven—Brahms, Leipzig 1930. — Der goldene Schnitt hat aber offenbar keine musikalische „Gültigkeit“. Er wirkt sich räumlich visuell aus, nicht zeitlich-akustisch. 10 Vgl. P. Benary, Die Metrik in der musikalischen Werkbetrachtung, Mf XTTT, i960, Heft 4; ergänzend H. Besseler, Das musikalische Hören der Neuheit. In: Berichte über die Verhand lungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Band 104, Heft 6, Berlin 1959, vor allem Kapitel III und IV.