122 Peter Benary tung, die die Form, verstanden als zeitlich gestalteter musikalischer Ver lauf, bei Bach besitzt. Aus der Barockmusik in ihrer Affekt-Einheitlichkeit spricht eine grundsätz lich andere „Art“ Inhalt als aus der späteren Musik. So unzureichend und oft irreführend auch die Vokabeln Objektiv und Subjektiv sind, - sie wei sen doch auf etwas hin, was für uns hier wesentlich ist. Wenn wir von einer objektiven Aussageweise in der Musik reden, so ist doch damit u. a. ge meint, sie sei befähigter, dem Hörer zum Objekt zu werden und ihm als Ob jekt zu genügen, als ein Werk, dessen subjektive Aussageweise dem Äußer- Musikalischen und Mehr-als-Musikalischen näher steht. So gesehen ist die Benachbarung der Klanggestalt eines Werkes zu seiner Aussage im Bereich objektiver Musiksprache größer oder wenigstens eindeutiger. Sie kann zur völligen Kongruenz gelangen: Gestalt und Gehalt werden Eins. Zweifellos handelt es sich nun aber bei den besprochenen Symmetrie- und Proportions formen um Erscheinungen, die, wenn auch nicht in ihrem numeralen Aspekt, so doch in ihrer unmittelbaren Klanglichkeit, also als Gestalt zur Auswir kung und damit zur Aussage gelangen. Fragen nach musikalischen Inhalten sind erst dann gültig gestellt, wenn sie auf das zielen, was „hinter“ der Musik steht. Dieser tiefere musikalische Ge halt wurzelt innerhalb der genannten stilistischen Grenzen in der „Kompo sition“ selbst, geht unmittelbar aus ihr hervor. Die Symmetrie- und Propor tionsformen gewinnen und offenbaren ihre Bedeutung erst damit, daß wir sie nicht nur als formale Phänomene ansehen, sondern sie als direkte Bezug nahme auf die musikalische Aussage, also auf den jeweiligen Inhalt auf fassen. Sie werden mit ihm geradezu identisch. Um das recht zu verstehen, muß man sich von der äußerlichen Bedeutung freimachen, die Symmetrie und Proportion weithin haben. Sie erschöpfen sich nicht in mathematischer Meßbarkeit, sondern weisen phänomenolo gisch auf geistesgeschichtliche Situationen hin, von denen aus sie selbst paradigmatisch zu erklären sind. So verstanden, fügen sich Symmetrie und Proportion widerspruchslos der Bachzeit ein. Der Gedanke der Einheitlich keit und der Vereinheitlichung des Mannigfaltigen war für das ausgehende Barock typisch. Der Terminus „praestabilierte Harmonie“ (1714) bietet sich geradezu an und umschreibt die Ordnung als wesentliche Seite des perio dischen Prinzips in der Musik. Diese Ordnung bedeutet Gliederung im Sinne von Einteilung und Eingrenzung. Der Zeit-Raum der Periode ist also vorherbestimmt, ebenso der Verlauf (nicht die Gestalt) ihrer musikali schen „Ausfüllung“. Diese Ordnung und Gliederung anzuerkennen, ver langt keinen „Kunst-Verstand“, sie erscheint „natürlich“, - wie übrigens auch die dominantische Tonalität, mit der sie manches verbindet. Ihre „Na tur“ offenbart sich in der Paarigkeit. Die Gesetzlichkeit des Auf und Ab, Hin und Her, Fragens und Antwortens, von Ruf und Echo, Systole und Diastole gewinnt in ihr musikalische Evidenz. Wird die Periodik in der Ro mantik zum Zwang, bevor sie im Zuge der formalen Verunklärung der Romantik weitgehend preisgegeben wird, und gibt sie den Wiener Klassi-