Bach in der deutschen Dichtung 9 blicke - vorzüglich wenn ich viel in des großen Sebastian Bachs Werken gelesen in denen mir die musikalischen Zahlenverhältnisse, ja die mysti schen Regeln des Kontrapunkts ein inneres Grauen erwecken.“ 22 Da für Hoffmann die Musik im allgemeinen Sprache eines geheimnisvollen Geisterreichs war, verwundert auch eine solche Bemerkung nicht, die sich auf das Spiel eines alten „eigensinnigen“ Organisten bezieht: „Ganz wun derbar wurde mir dann oft zumute, mancher Satz, vorzüglich von dem alten Sebastian Bach, glich beinahe einer geisterhaften, graulichen Erzäh lung, und mich erfaßten die Schauer, denen man sich so gern hingibt in der phantastischen Jugendzeit.“ 23 Indem der Dichter bereits die Größe Bachs erkennt, ist er seiner Zeit weit voraus. „Wie schal und nichtsbedeutend erscheint mir doch nun alles, was nicht dir [Beethoven], dem sinnigen Mozart und dem gewaltigen Genius Sebastian Bach angehört.“ 24 Wenn Hoffmann in den Kreis seiner Betrachtung über Alte und neue Kirchen musik: 2 ° versehentlich eine Bachsche „Messe für zwei Orchester, acht Haupt- und vier Ripienstimmen“ mit einbezieht, so ist der Irrtum auf das Erschei nen des Werkes als Komposition Bachs bei Breitkopf & Härtel zurückzu führen. 26 Echtes romantisches Empfinden steht im Vordergrund der wenigen uns überlieferten Aussagen, denen des Dichters Zuneigung zum Schaffen Jo hann Sebastian Bachs zu entnehmen ist. Wie tief Hoffmann trotz alledem den Geist der Bachschen Musik erfaßte, ist erstaunlich. In diesem Zu sammenhang ist auch auf seine Rezension 27 der „Suiten“ zu verweisen, die zu den eindringlichsten Zeugnissen gehört, die uns das 19. Jahrhundert im Hinblick auf das Bachverständnis schenkte. Vielleicht hätte der bereits 1822 verstorbene Dichter weniger allgemein über Bach und sein Werk geurteilt, wäre er noch Ohrenzeuge der wiedererweck ten „Matthäuspassion“ geworden. Sein Bach Verhältnis hat jedenfalls Schule gemacht. Bei Ludwig Tieck 28 und Gustav Adolf Keferstein 29 begeg net uns der Vergleich Bachscher Musik mit der Baukunst, ohne daß ersicht lich wird, welche Kompositionen die Autoren ihren Urteilen zugrunde legen. Das trifft auch auf Rudolf von Keudell 30 zu, der in der Novelle Kindenharfe 1848 eine ungenannte Kantate Bachs analysiert. Aus einem weiteren Werk Kefersteins, nämlich der Erzählung Die Cantor- 22 Ebenda, Bd. 1, S. 72. 22 Ebenda, Bd. 1, S. 274. 24 Ebenda, Bd. 1, S. 64. 25 Ebenda, Bd. 2, S. 119. 26 Vgl. Ph. Spitta, Johann Sebastian Bach. 4. Aufl. Leipzig 1930. Bd. 2, S. 509. 2 ' R. Scherwatzky, Die großen Meister deutscher Musik in ihren Briefen und Schriften. 3. Aufl. Göttingen 1942, S. 40—41. 28 Musikalische Leiden und Freuden. Potsdam 1943, S. 56. 29 König Mys von Fidibus oder Drei Jahre auf der Universität. Gera 1838. Bd. 1, S. 9—10. 30 Bergan. Dresden und Leipzig 1848. Bd. 1, S. 161—162.