Die Gebeine und die Bildnisse Johann Sebastian Bachs J 35 Nur wer den Wunsch hat, Bachs Erscheinung so wirklichkeitsgetreu wie möglich zu erfassen, ist zur Abkehr von Haußmann genötigt. Die Über zeugung, mit diesem Gemälde stimme etwas nicht, war für den Schreiber dieser Zeilen 1950 der Anstoß, gegen den Strom der communis opinio zu schwimmen. Das war anfangs fast hoffnungslos, führte aber 1953 zur Ent deckung des Gemäldes „um 1740“ und 1957 zur Silberstiftzeichnung, an deren Echtheit selbst der Besitzer zwanzig Jahre lang nicht zu glauben wagte. Heute gibt es, außer den Haußmannfassungen und -kopien, 6 Por träts mit den von mir hervorgehobenen Merkmalen im Antlitz, die Anspruch auf Echtheit erheben. Zu ihnen gehört glücklicherweise die Silberstift zeichnung. Ihre Ähnlichkeit mit dem Haußmann-Porträt ist so groß, daß ein Kritiker anfangs eine Kopie nach Haußmann für möglich hielt 15 . Das gewagte Unternehmen von 1950 hat also Erfolg gehabt und zur Ent deckung zweier neuer Bildnisse geführt. Die damals erbetenen Fachgut achten liegen jetzt wenigstens für ein Porträt vor, das nun als fester Punkt dienen kann. Es ist also möglich, eine Methode der Echtheitsprüfung von Bachbildern zu skizzieren. Die erste Voraussetzung für Echtheit liegt darin, daß das Bildnis von Kunst historikern als zeitgenössisch anerkannt wird. Bei der heutigen Material prüfungstechnik läßt sich mit Sicherheit feststellen, ob z. B. eine Leinwand aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammt. Am Unterschied von Original und Kopie ist nicht zu rütteln. Vor Jahren wurde im Bach-Jahrbuch die um 1850 entstandene Haußmannkopie aus dem Besitz der Familie Burkhardt be handelt, die der heutige Besitzer zu einem Originalbildnis um 1750 machen möchte. Da er den Beweis dafür nicht erbracht hat, betrachtet die Forschung das Burkhardt-Gemälde nach wie vor als eine Kopie 16 . Als zweite Voraussetzung für die Echtheit muß das Bildnis einen aus dem 18. Jahrhundert stammenden Vermerk enthalten, daß „J. S. Bach“ dar gestellt sei. Es ist nicht nötig, daß der Name sofort hinzugefügt wurde. Er muß nur aus jenem Jahrhundert stammen, weil damals, wie allgemein an erkannt, niemand an der Fälschung von Bachbildem interessiert war. Vi er ein solches Porträt besaß, gehörte zu den Verehrern oder Schülern Bachs. Man wird sich den Kreis zwar zahlenmäßig begrenzt, aber dafür um so lebendiger vorzustellen haben, denn aus ihm stammen die echten Bildnisse, deren Zahl im Wachsen ist. Wie man sich dort auch in bescheidener materi eller Lage zu helfen wußte, veranschaulicht der Schattenriß im Besitz von Dr. Fiala, Wien, den ein Bachverehrer im 18. Jahrhundert nach einer jetzt verschollenen Tuschzeichnung kopierte, hinter Glas hing und mit dem Namen Johann Sebastian Bach versah 17 . Da jetzt außer dem Schattenriß noch 3 Bildnisse den aus dem 18. Jahr hundert stammenden Vermerk „J. S. Bach“ tragen, ein viertes, das Pastell- 15 Alfred Dürr, Probleme der Bach-Ikonographie, Musica 12, 1958, S. 207—208. 16 Besseler, BJ 1956, S. 69—71. 17 Besseler, Musica 1958, S. 8—9 und Abb. 2.