Die Gebeine und die Bildnisse Johann Sebastian Bachs 141 herab zur Iris, ohne Falten zu werfen, während am linken Oberlid eine Falte nach innen hin sichtbar ist. Da das Antlitz hier von links gesehen wur de, bei den Gemälden jedoch stets von rechts, ist zunächst dieser Unter schied zu berücksichtigen. Trotzdem beobachtet man ein weiteres Persön lichkeitsmerkmal, da bei der Zeichnung die starke Untersicht auffällt. Man erkennt sie daran, daß sich dem Betrachter vor allem die Kinn- und Hals partie darbietet. Offenbar ist der Kopf etwas zurückgelehnt. Man halte ein normales Linksporträt daneben, z. B. von Vivaldi, Händel, Telemann, Johann Heinrich Ernesti oder Hasse. Der Vergleich läßt keinen Zweifel daran, daß auf der Silberstiftzeichnung der Dargestellte den Kopf nach rück wärts lehnt 33 . Nun beobachtet man auf der David-Kopie die oben geschilderte schräge Kopfhaltung, die auf anderen Bildnissen wiederkehrt 34 . Am deutlichsten erscheint sie auf dem Porträt „um 1740“, das einen Bach-Vermerk aus dem 18. Jahrhundert aufwies (Abbildung 6). Dort hält Bach den Kopf etwas nach rechts zurückgeworfen. Diese Kopfhaltung erscheint nun für einen Betrachter von links genau so, wie sie der Silberstiftzeichner festgehalten hat. Damit bestätigt er ein wichtiges Persönlichkeitsmerkmal Bachs. Da die Silberstiftzeichnung laut Urteil dreier Museumsfachleute ohne jeden Zweifel nach der Natur entstand, befinden wir uns nicht im Bereich von Hypothesen, sondern von historisch gesicherten Tatsachen. Die Silberstift zeichnung zwingt heute zu dem Schluß, daß uns das Haußmann-Porträt die Züge Bachs nur zum Teil richtig überliefert. Am nächsten kam der Wirklichkeit die von David kopierte Fassung H Ia. Dieses Originalgemälde wird hoffentlich wiederentdeckt, da H I nur eine willkürlich veränderte, durch Restauration verdorbene Zweitfassung, HIII eine nochmals veränderte Neufassung darstellt. Mit Hilfe der Silberstiftzeichnung ist es jedoch mög lich, mindestens 9 Persönlichkeitsmerkmale aufzustellen, die der David- Kopie und den Bildnissen mit Bach-Vermerk aus dem 18. Jahrhundert gemeinsam sind. Es genügt hier, auf ihre frühere Beschreibung zu verwei sen 35 . Die „tief herabhängenden Tränensäcke“, erst ein Altersmerkmal, ent fallen dabei zweckmäßig. Statt dessen erscheint hier die oben nachgewiesene schräge Kopfhaltung. Durch die Silberstiftzeichnung sind also folgende Persönlichkeitsmerkmale J. S. Bachs historisch gesichert: 1. vorstehendes Kinn 2. vorstehende, volle Unterlippe 3. Doppelkinn 4. kräftige, abwärtsgerichtete Nase 5. Wangensäcke neben dem Munde 6. hohe Stirn 33 Die genannten Porträts finden sich bei Werner Neumann, Auf den Lebenswegen J. S. Bachs, Berlin 1953, S. 101, 116, 138, 167 und 228. 34 Besseler, Fünf echte Bildnisse, S. 19. 35 Besseler, Musica 1958, S. 7.