144 Heinrich Besseler gewöhnlich gelten muß, und damit entfällt Scherings Haupteinwand. Ob wohl es vom Vermerk leider keine Photographie, sondern nur eine Ab schrift aus dem Jahre 1907 gibt, liefert seine lateinisch-deutsche Form den unwiderleglichen Beweis dafür, daß er aus dem 18. Jahrhundert stammt. Der Bach-Vermerk ist also in seinem vollen Wortlaut echt. Was die Quellenlage betrifft, so erfüllt das Jugendbildnis die beiden ersten Voraussetzungen für Echtheit, da es aus der Epoche stammt und einen Bach-Vermerk aus dem 18. Jahrhundert besitzt. Wie erklärt sich der hart näckige Widerstand, den es fand und zum Teil noch heute findet? Durch den Gesichtstypus (Abbildung 5). Daß er mit dem bei Haußmann schwer zu vereinbaren sei, wurde sogleich eingewandt, doch empfand auch Schering „die Mund- und Kinnpartie“ als bachisch. In der Tat gehört das vorstehende Kinn, die vorstehende, volle Unterlippe und das im Werden begriffene Doppelkinn zu seinen Persönlichkeitsmerkmalen, auch die abwärts gerich tete Nase, obwohl sie hier vergleichsweise schlank erscheint. Aber da seit 1958 die Silberstiftzeichnung (Abbildung 2) vorliegt, haben wir nun den Beweis dafür, daß die hochgewölbte, charakteristisch geformte Stirn eben falls bachisch ist. Die Augenbrauen sind rechts und links etwas verschieden geformt, genau wie auf der Zeichnung. Vor allem zeigt das rechte Auge eine Blepharochalasis im Frühstadium, was nur auf dem Gemälde selbst oder einer Photographie zu erkennen ist. Hierzu und zu den von ihm beob achteten Wangensäcken vergleiche man die Beschreibung von Ernst Engel king 38 . All diese Merkmale stimmen mit denen auf der Silberstiftzeichnung derart überein, daß heute nicht der geringste Zweifel mehr möglich ist. Das Jugendbildnis stellt J. S. Bach dar. Für das weitere Vorgehen ist es wichtig, daß die Persönlichkeitsmerkmale auf dem Jugendbild einzig und allein mit Hilfe der Silberstiftzeichnung iden tifiziert wurden. Die entscheidende dritte Bedingung für Echtheit: das Vor handensein der Persönlichkeitsmerkmale, ist also durch Vergleich mit die sem unbedingt echten Porträt erfüllt. Damit wird methodisch das Jugend bild zur Grundlage der weiteren Vergleichsarbeit. Seine Ähnlichkeit mit dem Porträt „um 1740“ (Abbildung 6) fällt ins Auge. Man hat eingewandt, Georg Schünemann hätte das Porträt sicher für die Staatsbibliothek erworben, wenn er an seine Echtheit glaubte 39 . Aber dieser Einwand verkennt die Situation im Kriegsjahr 1941, in dem es außerhalb des Etats keine Sondermittel gab. Für Schünemann war der vom Händler verlangte Preis von 2500 Mark zu hoch, weil er stets rechnen mußte. Der Erwerb des Altersbildes von Heinrich Schütz für 190 Mark im Jahre 1935 ver rät dies, denn wie begrenzt die Mittel der Musikabteilung tatsächlich waren, erfuhr ich 1928 bei der Wolffheim-Auktion in Berlin, als ich ein Objekt zu gunsten des Heidelberger Seminars hochsteigern wollte, aber von Johannes Wolf um Rücksichtnahme gebeten wurde. Schünemann verfügte 1941 nicht 38 Besseler, Fünf echte Bildnisse, S. 83. 39 Zu den Umständen beim Erwerb vgl. Besseler, BJ 1956, S. 66.