12 Hans-Martin Pleßke dacht, die dann zwei Jahrzehnte später in der rührseligen Zigeuneratmo sphäre von Brachvogels Friedemann Bach ihre Auferstehung feiern. In der abschließenden Erzählung geht es um die letzten Tage Friedemanns in Ber lin und seinen Besuch bei Johann Gottlieb Naumann. Vater Bach, der nach der Version Lysers ohne vorherige Anzeichen am 21. Juli 1750 an Herzschlag (!) stirbt, wird nur episodenhaft behandelt, da das Interesse und Mitgefühl Lysers dem unglücklichen Sohn gehört. Be denkt man, daß der Autor die Novelle nur sieben Jahre nach jenem musik geschichtlichen Ereignis publizierte, auf Grund dessen man vom „wieder erweckten“ Bach spricht, so wird Lysers Darstellung nicht einmal dem Mu siker Sebastian gerecht. An Werken nennt er lediglich die Kunst der Fuge (S. 64), und bei einem Vergleich Bachs mit Händel (S. 12) schneidet der Erstgenannte insofern ungünstig ab, weil nach Lyser das Schwergewicht seines Künstlertums auf der Weitabgewandtheit liegt. Die Novelle erschien zunächst in der Neuen Zeitschrift für Musik* 1 . Am 16. Oktober 1835 korrespondierte Lyser erstmalig in einem nicht erhalten gebliebenen Brief mit Schumann, der sich lobend über das ihm übersandte Prosawerk ausgesprochen haben muß. In dem Antwortschreiben Lysers (16. Februar 1836) heißt es nämlich: „Daß Dir der alte Bach gefällt, freut mich.“ 42 Ob und wieweit das umfangreiche, kaum noch zu überschauende Gesamt werk Lysers weitere Einblicke in des Dichters Verhältnis zum Leben und Schaffen Bachs bietet, entzieht sich unserem Urteil. Es ließ sich nur noch ein Dialog Palestrina (1837) 43 feststellen, der des Maler-Dichters Ansichten über Kirchenmusik enthält. Mit Palestrina wird Johann Sebastian hier ver glichen. Wenn Lyser ihn ausschließlich als „gelehrten Kontrapunktisten“ sieht, geht dieses Urteil nicht über das einzelner Zeitgenossen des 18. Jahr hunderts hinaus 44 . Kaum ein Werk der Musikbelletristik hat die Gemüter so bewegt, wie der 1858 erstmalig erschienene kulturhistorische Roman Friedemann Bach von Albert Emil Brachvogel, der bis in unsere Tage für viele Menschen die maßgebende Quelle geblieben ist, um sich über Bach und seine Familie zu orientieren. Brachvogel, 1824 in Breslau als Sohn eines Kaufmanns geboren, schrieb eine größere Anzahl geschichtlicher Romane, von denen sein Friede mann Bach von Anfang an die größte Publikumsgunst besaß. Geht man bei einer Einschätzung dieses Buches von der Brillanz der Sprache aus, ver folgt man die bewegte Handlung und Charakterisierung der Personen, dann gehört es zweifellos zu den eindrucksvollen historischen Musikerromanen seines Jahrhunderts. Infolge seiner zum großen Teil wissentlich vorgenom- 41 Bd. 4. 1836,Nr. 21 ff. 42 F. Hirth, a. a. O., S. 190. Weitere Briefe Lysers an Schumann, die einen Einblick in das Verhältnis der beiden Künstler geben, werden S. 187—192 und 195 — 196 zitiert. 43 In: Neue Kunstnovellen. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1837. Konnte nicht eingesehen werden. 44 Über Lyser vgl. auch E. Guttmann, Die deutsche romantische Musikerer^ählmg nach E. T. A. Hoffmann. Phil. Diss., Breslau 1934.