148 Heinrich Besseler GUTACHTEN über die Ausgrabung der Gebeine J. S. Bachs an der ]ohanniskirche in Leipzig Ende Oktober 1894 Von Prof. Dr. Gotthard Neumann, Ordinarius für Vorgeschichte und Direktor des Instituts für Prähistorische Archäologie an der Universität Jena Naturgemäß genügt die Art und Weise, wie die Gebeine Joh. Seb. Bachs im Oktober 1894 ausgegraben worden sind, modernen Ansprüchen nicht mehr. Wir würden heute verlangen, daß der wissenschaftliche Leiter der Grabung bereits während der Schachtarbeiten dauernd zugegen ist. Wir würden vermeiden, die Untersuchung der Gräber bei Regenwetter durch zuführen. Wir würden die einzelnen Stadien der Freilegung photographisch festhalten und den Befund auf Millimeterpapier fixieren. Wir würden ver suchen, die Form des Sarges und insbesondere seine Metallbeschläge (Griffe) zu ermitteln, Reste der Bekleidung des Bestatteten aufzufinden und die Art seiner Bettung festzustellen. Dies alles darf man aber nicht von einer Ausgrabung verlangen, die vor 65 Jahren in Leipzig stattgefunden hat. Denn erstens steckte die Ausgra bungstechnik damals überhaupt in den Kinderschuhen und zweitens gab es 1894 in Leipzig noch keinen geschulten Ausgräber. Angesichts dieser Tat sachen muß man vielmehr sagen, daß Prof. Dr. med. W. His ohne Zweifel der geeignetste Mann für die Ausgrabung gewesen ist, dessen man damals in Leipzig habhaft werden konnte, und daß er seine Aufgabe so gut gelöst hat, wie man dies von ihm nur erwarten kann. Selbstverständlich lagen ihm als Anatomen vor allem die Gebeine Bachs am Herzen und letzten Endes bilden diese ja doch die Hauptsache. Im üb rigen war das ganze Unternehmen von ausgesprochenem Glücke begün stigt. Denn wir zweifeln nicht daran, daß His tatsächlich die Gebeine Bachs gefunden hat, obwohl die historischen Daten, die ihm zur Verfügung stan den, recht dürftig waren.