Die Weimarer ßachtraöition Des I $. Jahrhunderts Von Wolfgang Lidke (Weimar) Als der etwa 9 Jahre währende zweite Aufenthalt Johann Sebastian Bachs in Weimar unter den unfreundlichsten Aspekten sein Ende gefunden hatte, stand es noch keineswegs fest, wie sich nunmehr die Pflege seiner Musik in der thüringischen Residenzstadt gestalten würde. Es war natürlich zu er warten, daß dabei auf das Fürstenhaus Rücksicht genommen werden mußte, wenn auch in dieser Frage - wie in manchen anderen - Meinungsverschie denheiten zwischen dem Herzog Wilhelm Ernst und seinem Neffen, Ernst August, bestanden. Die Vermittlung Bachs nach Köthen durch Herzog Ernst August ist ja die Kehrseite der von dem Musiker selbst geforderten Entlassung, der Wilhelm Ernst dann schließlich doch zustimmte. Die offi zielle Meinung im weimarischen Herzogtum stand aber nichtsdestoweniger gegen Bach. Diesem Umstand mußte zweifellos Rechnung getragen wer den. Andererseits handelte es sich aber doch um einen Komponisten, der unter Förderung durch Wilhelm Ernst in Weimar zur eigentlichen Meister schaft gelangt war, da ihm hier der Durchbruch zur eigenen Schreibweise gelang, wie es sich in Kantate, Orgelmusik und anderen Werken offenbarte 1 . Ob J. S. Bach bei seinem Abgang aus Weimar Kompositionen zurück lassen mußte, ist bis jetzt nicht bekannt. Ausgeschlossen ist das keines falls, da dies den in früheren Jahrhunderten geübten Praktiken entsprochen hätte 2 . Das Fehlen jeglicher Notenhandschriften in Weimar braucht durch aus nicht auf einen entsprechenden Verzicht der Fürsten zu weisen, denn der Schloßbrand vom Jahre 1774 kann die Notenbestände vernichtet haben. Demnach ist es also nicht erwiesen, daß etwa die Werke Bachs „uner wünscht“ gewesen wären, zumal Ernst August, der 1728 zur Alleinherr schaft gelangte, zu den Schülern des Meisters zählte. Doch der Schein der offiziellen Bachfeindlichkeit mußte auch jetzt gewahrt bleiben. Die Wei marer Zensur befand sich demzufolge in einer schwierigen Lage, als in Leipzig 1732 das erste deutschsprachige Musiklexikon erschien, dessen Ver fasser der Freund und Vetter Bachs, Johann Gottfried Walther, war. Die Rücksichtnahme auf das Fürstenhaus und die ständig wachsende Bedeu tung des Thomaskantors mußte der Weimarer Stadtorganist, der das Amt von 1707 bis 1748 bekleidete, in einer Kompromißlösung 3 miteinander ver binden. Die Amtszeit des Stadtorganisten Walther umschließt nicht nur J. S. Bachs entscheidende Weimarer Jahre; sondern Walther erscheint auch nach Bachs Weggang als wichtigster Repräsentant der Pflege Bachscher Kunst in Weimar, was in den weiterhin freundschaftlichen Beziehungen 1 In der seit 1950 erschienenen Bach-Literatur ist dieser Punkt ganz besonders heraus gearbeitet worden. 2 Der später ebenfalls als Konzertmeister tätige J. Pfeiffer wurde 1735 entlassen; ihm war ausdrücklich aufgetragen, Kompositionen aus seiner Feder in Weimar zu belassen. 3 R. Jauernig,/oL Seb. Bach in Weimar, in: ]. S. Bach in Thüringen, Weimar 1950.