Bemerkungen zu einigen Kantatenterten Johann Sebaftian Bache Von Hans-Joachim Schulze (Leipzig) Die Tatsache, daß sich nur für etwa ein Drittel der von Bach verwendeten Kantatentexte die Verfasser feststellen ließen, hat in der Bach-Forschung zu zahlreichen hypothetischen Zuweisungen Anlaß gegeben; vielfach wird vermutet, daß Bach selbst als Dichter einer Anzahl von Texten - auch des Textes zu Kantate 170 - anzusehen sei (vgl. z. B. BJ 1940-48 S. 128 und I 3 2f.). Verschiedene vorliegende Arbeiten über die Beziehungen zwischen Bach und Christoph Friedrich Graupner — besonders Fr. Noacks Gegenüber stellungen der Kompositionen zur Bewerbung um das Thomaskantorat (BJ 1913 S. 145 ff.) sowie der Vertonungen des wahrscheinlich von G. Chr. Lehms stammenden Textes „Mein Herz schwimmt in Blut“ durch beide Meister (AfMw II S. 8 5 ff.) - könnten den Anschein erwecken, als sei das Quellenmaterial zu diesem Thema im wesentlichen ausgeschöpft. So wurde von der Bach-Forschung bisher wenig beachtet, daß Noacks Katalog der Kantaten Graupners (Beih. zu DDT Bd. 51-52, Leipzig 1926, S. 37) in unmittelbarer Nähe der genannten Solokantate „Mein Herz schwimmt in Blut“ ein zweites derartiges Werk nennt, dessen Textincipit dem der Bach- Kantate 170 entspricht 1 : „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“. Ein Vergleich des in Graupners handschriftlich überlieferter Vertonung (Hess. Landes-Bibl. Darmstadt, Mus 419 ji2) enthaltenen Textes mit dem der Bach-Kantate zeigt, daß beide bis auf geringfügige Varianten im Wortlaut übereinstimmen. Nach den Darlegungen Noacks (AfMw II S. 86) kann da mit der Text von Kantate 170 - als Parallelfall zu Kantate 199 - dem Darm städter Hofpoeten Georg Christian Lehms (1684-1717) zugewiesen werden 2 . Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß ein dritter von Graupner vertonter und sicherlich ebenfalls von Lehms verfaßter Kanta tentext in Bachs Umgebung auftaucht: Der imBJ 1913 S. 72fr. abgedruckte Text „Liebster Gott, vergißt du mich“ — zur Trauerfeier für Herrn von 1 Es gelang nicht, festzustellen, ob Herr Prof. Fr. Noack (f) über diesen ihm bekannten Tatbestand etwas veröffentlicht hat; eine Anfrage des Verf. im Jahre 1957 blieb leider unbeantwortet. 2 Damit erledigt sich Terrys Ansicht „Libretto perhaps by Bach“ (Rach Cantata Texts sacred and secular, London 1926, S. 352), die von mehreren Standardwerken der Bach- Forschung übernommen worden ist. Auch das an den Erbprinzen Emanuel Ludwig von Anhalt-Köthen gerichtete Widmungs gedicht (Spittall, S. 704, Terry S. 221) ist offensichtlich nicht von Bach verfaßt, sondern scheint viel eher aus der Feder Picanders zu stammen, dessen Ernst-Schert^haffte und Satyrische Gedichte Bd. V, S. 3L ein ähnliches Erzeugnis bringen; dies ist um so wahr scheinlicher, als Picander ja auch den Text zu der bald nach der mutmaßlichen Überrei chung des Gedichtes aufgeführten Köthener Huldigungskantate „Steigt freudig in die Luft“ (BWV 36a) schrieb.