Bach in der deutschen Dichtung U Zuhörer das Urteil über Bach aus diesem Machwerk abzuleiten gezwun gen sind. Erwähnen wir hier den Fürsten Wladimir Odojewskij - der von 1803 bis 1869 als Hauptvertreter der russischen Romantik lebte - mit seiner No velle Sebastian Bach 5 *, dann deshalb, weil sie bis in unsere Tage wiederholt in deutscher Übersetzung vorgelegt wurde. Odojewskij interessiert sich nicht für biographische Tatsachen, sondern vertritt die Auffassung, daß ein Künstler nur auf Grund seines Werkes zu verstehen sei. Die Novelle legt keinerlei Wert auf historische Treue, da der Verfasser sich nur um „die Er eignisse des inneren Lebens“ seines Helden kümmert und empfiehlt, „die ganze Bachsche Musik von Anfang bis zum Ende durchzuspielen“ (S. 44). Des Dichters Arbeit trägt den Stempel einer totalen Verfälschung des Bach bildes und hält keinerlei Kritik stand. Erfunden ist der Lüneburger Organist Albrecht, dessen Tochter Bach angeblich heiratet. Diese Magdalena ver liebt sich später in einen Venetianer Francesco und möchte Johann Seba stian bewegen, endlich auch einmal italienische Canzonetten zu kom ponieren. Den Vorwurf, daß sie das Blaue vom Himmel herunter fabuliert, kann man auch der gebürtigen Arnstädterin EugenieMarlitt nicht ersparen, die in dem 1868 erschienenen, kaum noch aktuellen Roman Das Geheimnis der alten Mamsell behauptet, Bach sei der Komponist einer Operette „Die Klug heit der Obrigkeit in Anordnung des Bierbrauern“, deren anonymes Text buch aus dem Jahre 1705 stammt. Schon Spitta 55 hat in seiner Biographie zur Richtigstellung dieser Legende beigetragen und als mutmaßliche Ver fasser Vater und Sohn Treiber aus Arnstadt festgestellt. Wenig ergiebig sind einige weitere Werke, die bis zur Jahrhundertwende erschienen, weil in ihnen weder ein der Wirklichkeit entsprechendes Bach bild gezeichnet wird, noch die Musik Bachs eine besondere Durchdringung erfährt. Über Altmeister Bachs Familienleben berichtet C. Gerhard 56 (Pseudo nym für Klara Gerlach), Stefanie Keyser läßt ihn in ihrem in Arnstadt spielenden Roman 57 nur als Nebenfigur auftreten. Im Siebenjährigen Krieg um Weihnachten 1761 herum trägt sich Adolf Sterns Novelle Das Weih nachtsoratorium (1901) 58 zu, in der zwei Thomaner, die noch unter Bach das „Weihnachtsoratorium“ sangen, ihr Wiedersehen feiern. Alles in allem eine recht bescheidene Ausbeute, wenn wir überblicken, wie Bach in anderthalb Jahrhunderten seinen Niederschlag in der Belletristik fand. Kein großer Dichter begegnet uns hier, der wie Mörike mit seiner Mozart-Novelle ein unsterbliches Meisterwerk geformt hätte. Es ist das un umstrittene Verdienst von Karl Sohle, der 1861 in der Lüneburger Heide geboren wurde, als verkrachter Schulmeister seine ursprüngliche Existenz 54 Übertragen von J. von Guenther. Heidelberg 1947. 00 Vgl. Spitta, a. a. O., Bd. 1, S. 223 und 790. 56 Im Banne der Musik. Münster 1894, S. 11 —17. 07 Sturm im Wasserglase. Leipzig 1895. 08 In: Um Bach und Beethoven. Stuttgart 1923, S. 69—153.