Bach in der deutschen Dichtung !9 Weitaus größere Schwächen haften einem Buch der 1903 in Wien gebo renen Luise George Bachmann an, die als ehemals ausübende Sängerin und Organistin mit ihrem Der Thomaskantor 69 betitelten Roman nicht ihre stärkste musikbelletristische Arbeit vorlegte. In dem Werk, das 1723 ein setzt, wird mit der dichterischen Freiheit etwas zu großzügig umgesprun gen, so daß die Motivierung einzelner Handlungen unglaubwürdig bleibt. Bachs Sympathien tür die Herzogin Eleonore Wilhelmine lassen sich histo risch ebensowenig belegen, wie die in aller Ausführlichkeit geschilderte Reise nach Prag. Bachmann, die in dem breit angelegten Roman zweifellos tiet in den Stoff eingedrungen ist, verlagert das Schwergewicht ihrer Dar stellung auf einen gottesfürchtigen Bach, wobei der Musikant infolge der übertrieben dargestellten religiösen Gebundenheit vernachlässigt wird. Der gleichen Gefahr, mit überlieferten Daten und Fakten so umzugehen, wie sie sich gerade günstig in die dichterische Vorstellungswelt einfügen, hat sich die \ ertasserin in ihrer Novelle Wirrwarr in Weimar 70 ausgesetzt, in der sie Bachs \\ irken am Hofe des Herzogs Wilhelm Ernst und seines mitregierenden Neffen gestaltet. Vermutlich ist es Bachmanns katholischer Glaubenshaltung zuzuschreiben, daß Bach auch hier sehr viel von der Be gnadung, die von Gott kommt, spricht. In einem Gespräch mit seiner Frau Maria Barbara heißt es: „Die Arbeit eines schöpferischen Menschen ist hei lig. Sie herrscht allein im Haus. Daneben wird alles andere unwesentlich und bedeutungslos. Eine Schaffensstunde zerstören oder verlieren machen, ist ein \ erbrechen an der Menschheit“ (S. 46). Das klingt nicht nur geschraubt, sondern will so gar nicht zum Wesen unseres Bach passen. Auch von Kurt Arnold Findeisen besitzen wir stärkere Zeugnisse seines musikverbundenen Dichtertums als den Roman um Bach und Händel > Gottes Orgel. 11 Weit über den sächsischen Raum hinaus ist der 1883 als Sohn eines Bergbeamten geborene Schriftsteller bekannt geworden. Das tiefe J Verwurzeltsein in der Landschaft seiner vogtländischen Heimat spricht zu u uns aus jedem Werk, das dieser rastlos Schaffende niederschrieb. 7 Während der Autor den gleichen Zeitabschnitt wie Luise Bachmann behan- b delt, beschränkt er sich dabei auf wesentliche Episoden. Bachs Deutschtum und Volkstum werden überbetont, ein Zug der Zeit, dem sich Findeisen nicht nur in diesem Buch verschrieben hatte. Die stellenweise Einbeziehung H. Händels in den Gang der Handlung scheint nicht so recht geglückt, auch mj wenn man Findeisen zugestehen muß, daß er damit die Gegenüberstellung 3 b der beiden in so unterschiedlichen Welten lebenden Persönlichkeiten er- reicht. Dem Roman, der vor zwei Jahrzehnten eine große Lesergemeinde nß ansprach, ist etwas eigen, was wir an allen Musikdichtungen Findeisens be- do obachten: jenes vermittelnde Hinführen zu den Geheimnissen der in der ilA Musik wirkenden und wirksamen Kräfte, womit sich der heute über Fünf- nu undsiebzigjährige als Wegbereiter der jüngeren Generation erwies. Das in 4 e3 69 Paderborn 1937. q 0? 70 Paderborn 1941. q 71 Berlin 1935.