20 Hans-Martin Pleßke Gottes Orgel gezeichnete Bachbild jedoch stimmt mit den manchen Wand lungen und Berichtigungen unterworfenen Vorstellungen unserer Gegen wart nur noch bedingt überein. Sympathischer berührt ein Geschichtchen aus seiner Feder - Das Noten büchlein der Frau Anna Magdalena Bachin 72 das im September 1725 in der Wohnung der Bachs spielt und besonders jugendlichen Lesern einige Stücke des Klavierbüchleins erläutert. Wenn Vater Bach gegen Ende der Erzäh lung selbst in die Handlung eingreift und von einem Gang heimkehrend die Nachricht mitbringt, daß die Königliche Majestät Christiane Eberhardine gestorben sei, woran sich Betrachtungen anschließen, die den Ausgang des kleinen Werkes bestimmen, dann entspricht Findeisens Darlegung nicht der historischen Wahrheit, weil die Genannte erst am 6. September 1727, also zwei Jahre später, starb. Es ist nicht Beckmesserei, wenn wir diese Kleinigkeit, die unter dem Deck mantel der dichterischen Freiheit segelt und von dem einen oder anderen als belanglos angesehen werden könnte, herausgreifen. In solchen Fällen gehen unsere Dichter zu weit, wobei nicht behauptet werden soll, daß Find eisen bewußt zu dieser falschen Datierung gegriffen hat. Hier liegen Ge fahren der Musikbelletristik, die bedauerlicherweise von den Schriftstellern mitunter wissentlich vergrößert werden. Der erzieherischen Bedeutung, die eine Musikdichtung haben sollte, ist eine derartige Handhabung nur wenig zuträglich. Großzügigere dichterische Freiheiten lassen sich dann nicht ver meiden, wenn die Biographien Lücken aufweisen, so daß sich der Autor bei behutsamer Abwägung seiner Bemühungen um den jeweiligen Helden ge zwungen sieht, Kettenglieder zu formen. Dort aber, wo unumstößliche Fak ten bestehen, ist energisch Einspruch gegen eine Methode zu erheben, bei der um der besseren Lesbarkeit willen Verdrehungen vorgenommen werden. Größere Zeitabschnitte aus Bachs Leben behandeln zwei Bände von Chri stine Holstein. Das Her% des jungen Johann Sebastian 73 nennt die Autorin ihren kleinen Roman, in dem sie von der Geburt bis zur bevorstehenden Übersiedlung nach Köthen (1717) dichterisch ausgeschmückt die Lebens geschichte erzählt. Holstein geht mit der Art ihrer Darstellung besonders dort eigene Wege, wo sie der ersten Frau Bachs ein Denkmal setzt. Maria Barbara tritt stark in den Vordergrund dieser Dichtung. Ihr Verhältnis zu dem ein wenig kleinbürgerlich geratenen Johann Sebastian ist ausschließlich vom Gefühl her bestimmt, so daß infolge der überschwänglichen Töne, die Christine Holstein anstimmt, das Buch sprachlich nicht restlos befriedigt. Wenn der Roman den Eindruck hinterläßt, daß er im großen und ganzen nicht recht durchkomponiert wurde, so liegt es vor allem an dem knappen Berichtsstil, in den die Verfasserin wiederholt verfällt. Wie sehr sie schon von der Gestaltung her innerlich gereift ist, zeigt die fünf Jahre später erschienene Erzählung Die Passion des Johann Sebastian 72 Lockung des I^ebens. Leipzig 1924, S. 5 — 30. 73 Berlin 1930.