Bach in der deutschen Dichtung 21 Bach, 1 * in der als selbständige Fortsetzung des Romans die Ereignisse der Jahre 1720 bis 1729 (vom Tode Maria Barbaras in Köthen bis zur Leipziger Aufführung der Matthäuspassion) verarbeitet werden. Völlig unaufdring lich ist der gesamten Darstellung zu entnehmen, mit welcher Sorgfalt die sich aus den Quellen ergebenden Fakten historisch zuverlässig in den Gang der Handlung eingebaut sind. Der Übersiedlung nach Leipzig legt Holstein den Brief Bachs an Erdmann zugrunde. Sie entgeht damit der Gefahr, ge rade in dieser so entscheidenden Frage einer anfechtbaren Auslegung Tür und Tor zu öffnen. In den Bach gewidmeten Novellen und Erzählungen herrschen zwei The men vor: der Besuch 1705 bei Buxtehude, verbunden mit einer Reihe von Begleitumständen, die der Fabulierkunst der Dichter entgegenkommen. Zum anderen ist es der Aufenthalt Bachs in Potsdam in den Maitagen des Jahres 1747, der uns das Musikalische Opfer bescherte. Die Kinderjahre Sebastians behandeln Find eisen 75 , Röttger und Wittgen, wobei die Ohr druf-Anekdote in Findeisens Der Kuckuck im Klavier 76 eine gewisse Rolle spielt. Karl Röttgers Bach Verhältnis war in jeder Beziehung eigenwillig. In Die Berufung des Johann Sebastian Bach berauscht sich das Kind an einer Traumvision und wird sich in dieser Stunde erstmalig seiner Berufung als Musiker bewußt. Stets schlägt dieser zu Lebzeiten sehr beliebte westfälische Dichter (1877-1942) in seinen Legenden einen Ton an, der seiner tiefen Frömmigkeit entspricht. Aus einem nordisch bestimmten Christentum her aus, basierend auf einer dem Alltag entrückten Sprache, verfaßte Röttger seine drei Bach-Geschichten 77 , die ihm neben einigen anderen Werken den Ruf eines „deutschen Mystikers“ eintrugen. Kaum ein Leser wird sich dem Reiz dieser dichterischen Bach-Vision zu entziehen vermögen, deren Nie derschrift vor reichlich vierzig Jahren erfolgte. Röttgers Bild des Gott suchers Bach jedoch fügt sich infolge seiner religiösen Überspitzung nicht mehr in unsere gegenwärtige Vorstellungswelt ein. Wilhelm Wittgens Erzählung 78 wirkt als ausgesprochene Zwecklitera tur selbst auf christliche Leser abstoßend. In losen Szenen zeichnet der Ver fasser ein Lebensbild, das im Hinblick auf die kitschige Gestaltung der jugendlichen Erlebnisse kaum zu übertreffen ist. Der zehnjährige Sebastian fängt ein „Miezekätzchen“ ein und besteht seine erste Bewährungsprobe als Tierfreund. Einige Abschnitte später meint er altklug, „daß Luther den Leuten mit der Übersetzung der Bibel eine große Wohltat erwiesen hat“ (S. 8). Dem Autor geht es um die Entwicklung Bachs zum unsterblichen Künstler, und dabei schreckt er vor Banalitäten nicht zurück. 74 Leipzig 1935. 75 Johann Sebastian tritt ins Leben. In: Klingende Morgen^eit. 1937, S. 7—11. 76 Ebenda, S. 11—16. 77 Das Buch der Gestirne. Leipzig 1933, S. 219—249. Unter dem Titel Die Berufung des Johann Sebastian Bach (enthält außerdem Johann Sebastian und Bachs letzte Tage) auch selbständig erschienen. Leipzig 1933. 78 Johann Sebastian Bach. Gütersloh 1936.