Bach in der deutschen Dichtung 2 9 gänzlich verfälschte Bach sogar der nationalsozialistischen Ideologie Vor schub leisten. Gustav Christian Rassy nennt seine Novelle Kantor und König 116 , die in über hunderttausend Exemplaren erschien. Bei Rassy geht Bachs Monarchen-Verehrung so weit, daß er daheim eine Eßschüssel be nutzt, „in deren Mitte ein getreues Bild des Preußenkönigs Friedrich stand“ {S. io). Nach Rassy reist Sebastian von Leipzig mit Voltaire nach Potsdam, was dem Autor Gelegenheit zu abfälligen Bemerkungen über Frankreich und die Franzosen gibt. Dafür wird Friedemann, der - wie überliefert ist - seinen Vater begleitete, unterschlagen. Rassy läßt im Gespräch zwischen Bach und dem König die Hitlersche Eroberungspolitik rechtfertigen, in dem Friedrich sagt: „Streitbare Unterröcke sehen die preußische Landkarte ganz anders als ich und wollen nicht begreifen, daß Fehler meiner Vorgänger von mir ausgeglichen werden müssen“ (S. 60). Durch solche Gedankengänge richtet sich das Buch wohl selbst! Alfred Weidemann 117 und Alfred Baresel 118 liefern Skizzen, die sich der Anekdote ziemlich streng verpflichtet fühlen. Etwas weiter holt Th. W. Elbertzhägen 119 aus, der zunächst Bach im Kreise seiner Familie 1745 schildert, um zu den Maitagen des Jahres 1747 überzublenden. Manche Passage ist anzuzweifeln; die eine oder andere Wendung im Gespräch der beiden „Monarchen“ trifft nicht ganz die Situation, wie wir sie uns vorzu stellen haben, nachdem Friedrich II. seinen Glorienschein endgültig abge nommen bekam. Eine literarisch ausgewogene Erzählung ist die von Ludwig Berger 120 , dem 1892 geborenen Regisseur, der mit bürgerlichem Namen Ludwig Bamberger heißt. Hier ist nichts von einer Unterwürfigkeit des Kantors gegenüber dem König zu spüren; nicht nur der Unterschied des Standes, sondern auch der des Alters und des Glaubens wird überzeugend herausge arbeitet. Carl Maria Holzapfel 121 erreicht weder diese Gestaltungsdichte noch ist er in der Lage, sich von jener schwülstigen Ausdrucksweise, die in die Nähe des Sentimentalen führt, zu lösen. Die Proportionen wollen nicht so recht stimmen, wozu die außergewöhnliche Glorifizierung des einst soge nannten „Alten Fritz“ beiträgt. Die Okarina 122 von Kurt Bock, eine be langlose Geschichte um ein Erlebnis, das unserem Helden auf der Fahrt nach Potsdam angedichtet wird, sei lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt. Und damit nähern wir uns bereits den letzten Lebensjahren Bachs, der der Nachwelt außer dem Musikalischen Opfer noch die unvollendet gebliebene Kunst der Fuge als unvergänglichen musikalischen Besitz 116 München 1943. 117 Johann Sebastian Bari in Potsdam. In: Skalpen. Jg. 9. 1935, H. 8/9, S. 6—10. 118 Auferstehmgdes Geistes. In: Die hellen Stunden. London, Bonn 1951, S. 41—50. 119 Johann Sebastian Bach. Konstanz 1956. 120 Eine Kacht in Potsdam. In: Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist. Tübingen 1957, S. 11—31. 121 Das musikalische Opfer. Stuttgart um 1937. 122 R. Braun, Unter Gottes Sternen. 3. Aufl. Berlin 1952, S. 28—30.