Bach in der deutschen Dichtung 3 3 Hinblick auf die Beschäftigung mit Anekdoten und Gedichten wohl nicht zu erreichen sein. Die Anekdote als unbeglaubigte Begebenheit charakterisiert meist zutref fend den Helden, von dem sie berichtet. In den meisten Fällen bleibt un bekannt, ob das Geschichtchen historisch wahr ist oder frei erfunden wurde. Daß die ersten Bach-Biographien, aber auch Reichardt und Marpurg, man ches Anekdotische bieten, wurde bereits erwähnt. Heinrich von Klei st überliefert ein Ereignis, das in abgewandelter Form verschiedentlich wieder kehrt. „Bach, als seine Frau starb, sollte zum Begräbnis Anstalten machen. Der arme Mann war aber gewohnt, alles durch seine Frau besorgen zu las sen; dergestalt, daß, da ein alter Bedienter kam und ihm für Trauerflor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er unter stillen Tränen, den Kopf auf einen Tisch gestützt, antwortete: ,Sagts meiner Frau.““ 146 Es ist offensichtlich, daß den Anekdoten-Sammlungen 147 häufig die gleichen Begebenheiten zugrunde liegen, ein Zeichen für die spärliche Überlieferung an biographischen Fakten. Neben der Ohrdruf-Legende und dem Wett streit mit Marchand geht es um Johann Christoph, der von seinem Vater eine Ohrfeige erhält, weil er das Spiel auf dem Cembalo mit einem Quint sextakkord beendet. In anderen Geschichten schlägt Bach zunächst uner kannt in Gera die Orgel oder betont, daß die Meisterung der Königin der Instrumente keine besondere Kunst sei, man müsse nur „zur rechten Zeit die rechten Tasten mit der rechten Stärke drücken“. Wie die Begeisterung für unseren Helden von Generation zu Generation fortlebt, davon zeugen die Anekdoten, die in Verbindung mit Kirnberger, Schumann, Smetana, Reger oder Brahms dem Genius Bach huldigen. „Brahms saß im frohen Kreise beim Mahl. Der Hausherr brachte einen be sonders guten Wein und meinte dazu: ,Das ist der Brahms unter meinen Weinen!“ ,Sehr schön!“, antwortete Brahms, ,Nun bringen Sie mir, bitte, Ihren Johann Sebastian Bach!““ 148 Obwohl die folgenden Werke ein wenig über das uns gestellte Thema hin ausgehen, liegt deren kurze Erwähnung im Interesse einer Abrundung des Gesamtbildes. Nur genannt werden können solche Veröffentlichungen, bei denen wie im Falle Hesselbacher 149 oder Sitte 150 das belletristische Moment in der Darstellung zurücktritt, wenn auch der schlichte, sich an 146 Sämtliche Werke. München 1955, S. 930. 147 Bach-Anekdoten enthalten u. a. K. F. Bolt, Baeh-1jesebüchlein. Berlin 1950, S. 32—34. — W. Brandl, Scherzo. Eßlingen 19; 1, S. 7. — Ch. Dietze, Musiker-Anekdoten. Leipzig 1936 S. 7—8. — Herzfeld, Adagio und Scherzo. Wien 1941, S. 7—13, 244. — G. Nowottnick, Deutsche Künstler. Berlin 1938, S. 97—103. — E. E. Reimerdes, Geschichten um Johann Sebastian Bach. In: Zeitschrift für Musik. Jg. 102. 1935, S. 319—320. — J. Seiling, Musi- kalisch-historisches-Iustiges Anekdoten-Büchlein. Diessen 1913, Bd. 1, S. 33; Bd. 2, S. 19, 94—95, in —112. — E. Stemplinger, Von berühmten Musikern. München 1942, S. 7—8. 148 F. Herzfeld, a. a. O., S. 244. 149 Der jünjte Evangelist. Stuttgart 1934. 150 Johann Sebastian Bach als „hegende“ erzählt. Berlin 1925.