Bach in der deutschen Dichtung 35 Persönlichkeiten - vor allem aber bekannte Komponisten - auf die Bühne zu stellen. Im Falle Bachs ist es leicht möglich, das künstlerische Wollen des Meisters zu verniedlichen, indem er inmitten seiner Familie auftritt, so daß sich hier ein ergiebiger Spielraum für Banalitäten ergibt, hinter denen der schöpferische Musiker ganz zwangsläufig zurückzutreten hat. Jeweils auf Bachfesten erlebten Spiele von Arnold Schering und Hans- Joachim Moser ihre Uraufführung, ein Zeichen dafür, welchen Wert selbst die gestrenge Wissenschaft diesen Werken beimaß. Während Schering in seinem Gemiith-erfreuend Spiel von deme Herren Cantori Sebastian Bachen - ge nannt Der Thomaskantor 162 - der 53. Geburtstag unseres Johann Sebastian als Vorlage dient, rankt Moser um das Hochzeits-Quodlibet und weltliche Kantaten einen Bach'sehen Familientag 163 . Beide Stücke, die sich dem Sprach stil der Zeit anpassen, haben Anklang gefunden und entbehren jeglicher trockenen Diktion, die man vermuten könnte, wenn Fachwissenschaftler das Thema einmal von der poetischen Seite aufziehen. Den Weg für eine neue Form der Feiergestaltung wollte Günter Weisen born mit seinem Spiel vom Thomaskantor 16i im Bachjahr ebnen. Sein Ver such ist ihm nicht recht gelungen. Das Spiel hinterläßt beim Zuschauer den vom Autor wohl nicht beabsichtigten und keineswegs den Tatsachen ent sprechenden Eindruck, als habe Bach seine Werke ausschließlich auf Grund persönlicher Erlebnisse geschaffen, ohne sich der engen Bindung an Zeit und Umwelt bewußt zu sein. Das 19. Jahrhundert ist vermutlich einer Dramatisierung Bachs ausge wichen. Lediglich bei Julius Pabst (1817-1881) tritt er in einer Dichtung mit lebenden Bildern 160 auf. Die Autoren unseres eigenen Jahrhunderts legen den Bühnenstücken gern überlieferte Anekdoten zugrunde, die ent sprechend ausgeweitet werden, um überhaupt zu einer Handlung zu ge- [ langen. So dient die Ohrdruf-Legende dem belanglosen, gereimten Spiel 1 für Kinder von Ern st Speer Der liebe Mondenschein 166 als Fabel. Eine Ent- l gleisung ist die deutsche Komödie Der Thomas-Kantor 167 von Armin I Friedmann, die ihre Uraufführung 1917 in Wien erlebte. Das Stück, in d dem Sebastian als Haustyrann regiert, spielt um 1731; Bach lernt Anna L Magdalena kennen (!), die zwischen ihm und Friedemann hin und her pen- b delt, und verlobt sich schließlich mit ihr. Haarsträubendere Entstellungen b als in diesem Bühnenwerk sind kaum noch denkbar. Unverständlich bleibt, daß solche literarischen Produkte jemals von einem Theater angenommen u wurden. 162 2. Aufl. Leipzig 1925. ;»i 163 Leipzig 1932. tai 1,4 Berlin 1950. 160 Die Tonkunst und vier deutsche Meister. In: A. Heinrichs Deutscher Bühnen-Almanach. Jg. 25. 1861, S. 68. 166 Dramatische Bilder aus der Jugend großer Komponisten. Leipzig 1922, S. 19—34. rai 167 Wien, Leipzig 1917.