42 Hans-Martin Pleßke nicht das Gefühl an, weil sie nur eine Angelegenheit des Verstandes sei. Die Autoren des 20. Jahrhunderts aber, deren Bemühungen um unseren Helden durch die mehr und mehr Gestalt annehmende Bachbewegung mit geprägt wurden, finden vielfältige Möglichkeiten und Formen, um ihrer Ver ehrung Ausdruck zu verleihen. So manche den Werken Bachs zugetane Äußerung dokumentiert zugleich auch ein Stück Musikauffassung des jeweiligen Dichters, die - wie im Falle Hermann Hesses - zeitlebens manchen Veränderungen unterworfen ist 216 . Hesses Leben und Wirken wurde durch die Begegnung mit Musik entscheidend geformt. Die Wandlung seiner Musikanschauung von der er sten schwärmerischen Chopin-Verehrung über die Hinwendung zur un sterblichen Vollkommenheit Mozarts im Steppenwolf bis zur allseitigen Be fürwortung der das 15. bis 18. Jahrhundert umfassenden „klassischen Mu sik“ des Glasperlenspiels hat Hermann Hesses wechselseitige Beziehungen zwischen Musik und Dichtung schöpferisch beeinflußt. Obwohl in dem 1 9 I 9 geschriebenen Demian der Musik nur eine untergeordnete Aufgabe zu kommt, finden sich einige Sätze, auf Grund derer die Vermutung naheliegt, Hesse habe sich endgültig von der Musik der Romantik gelöst. Jetzt erklingt auch Bach neben alten italienischen Meistern und einer Passacaglia von Bux tehude. Emil Sinclair bekennt: . . und beim Anhören der ,Matthäuspas sion 1 von Bach hatte mich der düster mächtige Leidensglanz dieser geheim nisvollen Welt mit allen mystischen Schauern überflutet. Ich finde heute noch in dieser Musik, und im , Actus tragicus“, den Inbegriff aller Poesie und alles künstlerischen Ausdrucks.“ 217 Die Beschäftigung Hesses mit der Musik des Thomaskantors geht bereits auf eine Betrachtung Alte Musik (1913) zurück, in der es über ein Orgel werk Bachs heißt: . . und hinterläßt im Verstummen die Welt voll Glanz und Seele.“ 218 Bach wird nicht nur im Steppenwolf und in Roßhalde gespielt, auch die Glasperlenspieler Kastaliens um das Jahr 2400 studieren und musi zieren den Meister. Hat Hesse in der musikalischen Notiz - überschrieben Eine Konzertpause 219 - die Wiederbegegnung mit Edwin Fischer und dessen „Spiel aus Bachs Klavierwerk“ festgehalten, so berichtet er in den Notiz blättern um Ostern (1954) 220 von verschiedenen Aufführungen der Matthäus passion. Er erinnert sich dabei noch einmal fast vergessener Knabenerleb nisse um dieses Werk. Nennen wir hier noch das Gedicht Zu einer Toccata von Bach 221 , dann wurden wesentliche Bemühungen um die Musik Bachs in den Dichtungen des 83 jährigen herausgestellt. Spricht Hesse den Namen Bach aus, dann sind 216 Vgl. W. Dürr, Hermann Hesse. Vom Wesen der Musik in der Dichtung. Stuttgart 1957. — H.-M. Pleßke, Hermann Hesse und die Musik. In: Aufbau. Jg. 15. 1957, H. 7, S. 60—70. 217 Gesammelte Dichtungen. Berlin 1952. Bd. 3, S. 155. 218 Betrachtungen. Berlin 1928, S. 28. 219 Musikalische Notizen. Sonderdruck aus Neue Schweizer Rundschau. 1948, S. 8 — 13. 220 Beschwörungen. Berlin 1955, S. 234—237. 221 Gesammelte Dichtungen, a. a. O., Bd. 5, S. 748.