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Bach in der deutschen Dichtung 43 seine Gedanken erfüllt von Ehrfurcht und Beglückung vor dem Schaffen eines Musikers, dessen Erleben des Dichters eigene Musikanschauung ent scheidend formen half. Auch im Gesamtwerk Thomas Manns kommt der Musik eine hervor ragende Rolle zu 222 . Bach jedoch wird fast ganz am Rande behandelt und nur gelegentlich erwähnt. Das ist kaum verwunderlich, weil wir wissen, daß Manns besondere Zuneigung Beethoven und den Meistern der Roman tik gehörte, und daß durch die Berührung mit der Musik Richard Wagners seine Kunstauffassung manchen Variationen unterworfen war. In den Buddenbrooks sowie im Doktor Faustus finden sich Äußerungen, denen zu entnehmen ist, wie der 1955 von uns gegangene Dichter auch in manchen Kompositionen Bachs zuhause war. Adrian Leverkühn spielt kleine Prälu dien, Fugetten und Inventionen; einzelne Orgelwerke werden gestreift. Vielleicht auf Grund des Umstandes, daß Manns jüngster Sohn Michael Gei ger ist, beobachten wir ein inniges Vertrautsein des Dichters mit der Violin- literatur. So wird in den Buddenbrooks in jenem 6. Kapitel des 8. Teiles, in dem Herr Edmund Pfühl, Organist von Sankt Marien zu Lübeck, Wagners Musik als „parfümierten Qualm“ bezeichnet, Bachs so selten zu hörendes ^-Moll-Konzert geübt 223 . Die Bedeutung Bachs als Harmoniker stellt Thomas Mann nicht erst im Doktor Faustus heraus, dessen Niederschrift ja u. a. das Studium von Bek- kers Musikgeschichte vorausging, sondern schon in dem 1901 veröffentlichten Buddenbrooks-Roman. Dort ruft Edmund Pfühl dem lauschenden Hanno und seiner Mutter Gerda zu: „O Bach! Sebastian Bach ... er ist es, durch den das Harmonische über das Kontrapunktische den Sieg davongetragen hat ... er hat die moderne Harmonik erzeugt, gewiß! Aber wodurch? Muß ich Ihnen sagen, wodurch? Durch die vorwärtsschreitende Entwicklung des kontrapunkdschen Stiles . . ,“ 224 . Während nun in den Werken Hermann Hesses und Thomas Manns eben doch nur eine gelegentliche Beschäftigung mit unserem Helden zu erkennen ist und keines seiner Werke erschöpfend behandelt wird, bietet Arnold Zweig sehr gewichtige Auseinandersetzungen mit der Matthäus- und der Johannes-Passion. In seinem zweiten Lebensjahrzehnt entdeckte der junge Schriftsteller Bach für sich; ihm ging dieser Meister als ein „Gestirn“ auf, das „seither Licht und Freude“ spendet, „Selbstkritik und Ermutigung, Wegweisung und Zukunftsglaube“ 225 . Den Ruf Zweigs begründeten die 1912 erschienenen Novellen utn Claudia, die ein Kapitel - überschrieben Die Passion - enthalten. In dem gesamten Band geht es letzten Endes darum, alle an einer bürgerlichen Existenz berechtigung sichtbar gewordenen Zweifel schonungslos auszusprechen, in 222 Vgl. H. Grandi, Die Musik im Roman Thomas Manns. Phil. Diss., Berlin 1952. — K. Heim, Thomas Mann und die Musik. Phil. Diss., Freiburg/Br. 1952. 223 Berlin 1952, S. 514. 224 Ebenda, S. 512. 225 Festgabe ^ttr deutschen Bachfeier, Leipzig 1950.