Bach in Oer Ocutfchen Dichtung 1 Von Hans-Martin Pleßke (Leipzig) In den letzten drei Jahrzehnten ist die Musikbelletristik mehr und mehr in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses gerückt. Die Musikwissenschaft hat sich mit der Daseinsberechtigung - aber auch mit den ernsten Gefahren - dieser literarischen Gattung wiederholt auseinandergesetzt 2 . Musiker- Romane, -Novellen und -Erzählungen, die mit wirklichem Einfühlungs vermögen das rechte Verhältnis zwischen Wahrheit und Dichtung herzu stellen wissen, weil sie auf Biographien, Briefsammlungen und den Erkennt nissen des Historikers aufbauen, können durch Inhalt und Form geeignet sein, auch da Liebe für die Tonkunst zu wecken, wo es einer trockenen bio graphischen Darstellung nicht so recht gelingen will. Gewiß soll ein Dichter mit freier, historisch nicht bis ins Letzte gebundener Gestaltungskraft an sein Werk herangehen und fabulieren. Er darf jedoch das Bild und die Lebensumstände seines Helden nicht um des äußeren Effek tes willen entstellen. Da sich die Musikwissenschaft lange Zeit nur zögernd der Musikdichtung angenommen hat, konnten Zerrbilder einzelner Kom ponisten entstehen, die zu jenen kitschig-sentimentalen Darstellungen führ ten, aus denen breite Leserkreise in der Vergangenheit - aber mitunter auch noch in unseren Tagen - ihre Kenntnisse des musikalischen Erbes abzu leiten gezwungen waren und sind. Will ein Schriftsteller die erforderliche Einheit von Sachtreue und künstlerischer Durchformung erzielen, genügt es keinesfalls, daß er nur Literatur über den Helden und seine Zeit liest, sondern er muß sich gleichermaßen mit den Veröffentlichungen aus dessen ( Lebens- und Schaffenskreis beschäftigen. Die Einwirkung der gesellschaft lichen Verhältnisse, des Musiklebens, der Sitten und Gebräuche auf den Helden - alle diese Faktoren dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, weil das zu schaffende Werk sonst später auf Grund sorgloser Vorarbeiten Partien aufweist, die keiner ernsthaften Kritik standhalten. Ausgehend von den umfassenden Veranstaltungen des Bachgedenkjahres 1950 wird um das echte Bild dieses Musikers, das so manchen Wandlungen unterworfen war, mehr und mehr gerungen. In seiner Hamburger Festrede sprach Paul Hindemith damals aus, was nicht nur vereinzelt auch andere 1 Zwecks Einengung des umfangreichen Stoffgebietes bleibt die in Tageszeitungen pu blizierte Prosa und Lyrik zum Thema unberücksichtigt. Nur auszugsweise abgedruckte Veröffentlichungen eines Autors werden in der Regel nicht behandelt und bibliogra phisch verzeichnet. Die Anmerkungen weisen lediglich die für diese Arbeit benutzte Ausgabe nach. - Vgl. u. a. E. \Y. Böhme, Musik und Musiker im Roman um 19)0. Greifswald 193;. — R. Hohlbaum, Musik und Dicbttmg. In: Die Literatur. Jg. 38. 1936, S. 416—419. — H.-J. Moser, Schmut^Musikliteratur. In: Der Türmer. Jg. 27. 1925, S. 374—375. — H.-M. Pleßke, Musik im Spiegel der Belletristik. In: Musica. Jg. 5. 1951, S. 505—507.